Rom heißt Mensch, nicht Zigeuner

■ Die Geschichte von Roma und Sinti ist eine Geschichte der Verfolgten

Heute leben in der Bundesrepublik 50.000 bis 60.000 Sinti und Roma. Die meisten von ihnen sind Sinti, deren Familien schon vor Jahrhunderten nach Deutschland kamen. Roma sind erst im letzten Jahrzehnt vermehrt zugezogen, weil sie vor Diskriminierungen in osteuropäischen Staaten flohen. Sie kommen vor allem aus Jugoslawien. Roma und Sinti gehören derselben ethnischen Volksgruppe an und sprechen Romanes, die Roma haben aber noch eine weitere Muttersprache. Sie unterscheiden sie von den Sinti geringfügig in ihren Sitten und Traditionen und verfügen außerdem nicht wie jene über einen deutschen Paß. In der ganzen Welt leben etwa 10 Millionen Menschen, deren Volksgruppe, ob nun Roma oder Sinti, international als „Roma“ bezeichnet wird. „Rom“ heißt „Mensch“ in Romanes. Viele glauben, das Ursprungsland der Sinti oder Roma sei Ungarn, bekannt durch die vielen Zigeunerkapellen, die dort zum Bestandteil der nationalen Musikkultur gehören. Tatsächlich kommen aber Sinti und Roma aus Indien. Ihre gemeinsame Sprache stammt aus dem Sanskrit, woraus Forscher schließen, daß die Sinti und Roma früher im Südwesten Indiens, dem Punjab wohnten. Dort zogen sie aber vermutlich um das Jahr 1000 fort. Warum sie in Richtung Europa auswanderten, konnten Ethnologen bisher nicht eindeutig klären. Auf ihrer Reise über den Iran, die Türkei und Griechenland sind vor allem die Roma in osteuropäischen Ländern geblieben, während die Sinti bis nach Westeuropa weiterzogen. Die europäische Geschichte der Sinti ist eine Geschichte der Verfolgung. Ende des 15. Jahrhunderts trafen sie auf eine Gesellschaft, die unter den Handwerkern streng nach Zünften organisiert war. Weil die Sinti eine Konkurrenz darstellten, duldete sie niemand länger an einem Platz. Sie mußten von Ort zu Ort ziehen, bekamen die Rückkehr aber oft ganz verboten. Dieser Teufelskreis der Vertreibung existierte nicht nur in Deutschland, sondern ebenso in Frankreich, England oder Schweden. Weil die Sinti trotzdem oft zu ihnen bekannten Stätten zurückkehrten, wurden sie im 18. Jahrhundert für vogelfrei erklärt. Vor 50 Jahren beschlossen die Nationalsozialisten die Vernichtung der ganzen Volksgruppe. In West– und Osteuropa ermordeten sie 500.000 Sinti und Roma. Kaum einer, der im KZ oder Lager überlebte, hat nach dem Krieg eine angemessene Entschädigung erhalten. Bis 1964 galt ein Urteil des Bundesgerichtshofes, wonach Sinti und Roma nicht aus „rassischen Gründen“, sondern wegen ihrer „asozialen und kriminellen Haltung“ verfolgt und inhaftiert worden seien. Die meisten der Überlebenden müssen heute mit ein paar Hundert Mark Sozialhilfe auskommen. Buchtip: Romani Rose: „Bürgerrechte für Sinti und Roma“, Heidelberg 1987, zu bestellen über den Buchhandel oder direkt beim „Zentralrat deutscher Sinti und Roma“, Bergheimer Straße 26, 69 Heidelberg, kostet 8 Mark.