K O M M E N T A R Elend mit Namen und Adresse

■ Zur „Naturkatastrophe“ in Norditalien

Wenn das Brecht–Wort stimmt, daß das Elend immer Namen und Adresse habe, so müßten die italienischen Behörden woh Aktion nahezu aller Verantwortlichen bezeichnen - Häusle– und Hotelbauer inklusive. Wieder einmal schlägt bei der „Bewältigung von Opfern und Schäden“ der Einsatz–Gigantismus durch, statt daß die Prävention realisiert würde, die nach dem opferreichen Dammbruch im Veltlin vor zwei Jahren und dem Erdrutsch in der Basilicata voriges Jahr versprochen wurde. Zivilschutzmeister Zamberletti brilliert wieder mit seinen 1.500 Pionieren und Rotkreuzhelfern, den zwei Dutzend Hubschraubern und der Hundertschaft Rettungsboote - und mit der „vollen Stunde Vorwarnung per Radio“; von der seit Jahren gegebenen Vorwarnung durch Umweltschützer spricht er nicht. Wie wenig die Radio–Vorwarnung nützte, zeigt die Tatsache, daß die meisten Menschen nicht auf Almwiesen oder auf Straßen starben, sondern in ihren Häusern und Herbergen: in bekanntermaßen gefährdeten Zonen, viele Gebäude schwarzgebaut, aber nachträglich legalisiert, die meisten jedoch mit behördlichem Segen hingestellt, wo unterirdische Bäche und Steinverlagerungen rumoren. Staatsanwaltschaften, Bau– und Umweltministerium, Regionalverwaltungen und Stadträte, bedenkenlos expandierende Tourismusämter und hinterherhechelnde Zivilschutzeinrichtungen - sie alle sind also die richtigen „Namen und Adressen“ des Elends. Noch immer will die Erkenntnis nicht in die Köpfe hinein, daß der Abriß eines Hauses, notfalls auch die Räumung eines Dorfes, das Absperren eines noch so verlockenden Tou die fortschrittlichsten Umweltschutzgesetze der Welt. Doch gleichzeitig lebt hier, in der Realität, auch die mächtigste Bau– Mafia derselben Welt. Werner Raith