Mit Vollgas durch den Abgasnebel

■ EG–Abgasregelung reduziert die Schadstoffe nur wenig / Tempolimit steht nicht zur Debatte

Des Bundesbürgers liebstes „Kind“ wird zunehmend zum Problem. Zwar feiert Umweltminister Töpfer den Beschluß der EG zur Abgasreduzierung als Erfolg, der Wald wird aber nicht aufatmen können. Ein Tempolimit fordern nur einzelne, der Rest rast weiter. Angesichts der Massenkarambolagen fordert Erzbischof Wetter „Frieden auf den Straßen“. Ob sein Stoßgebet erhört wird? Bislang reagierten Deutschlands geradeausbretternde Automobilisten nur auf Verbote.

Als sich im Juni 1985 die EG–Minister auf den „Luxemburger Kompromiß“ zur Abgas–Reduzierung für Autos geeinigt hatten, stellte sich Innenminister Friedrich Zimmermann vor die Presse und sprach - nach den zähen Verhandlungen erschöpft aber glücklich - von einem „historischen Schritt“, der „drastische Senkungen“ der Schadstoffe bringen werde. Zimmermanns Botschaft: Die Luftverschmutzung wird gestoppt, dem siechenden Wald geholfen. Zwei Jahre später läßt sich die Zimmermannsche „Erfolgsbilanz“ in Zahlen ausdrücken: Der Ausstoß an Stickoxiden, die als Waldkiller wesentlich mitverantwortlich sind, hat im Jahr 1986 nach Berechnungen des IFEU– Heidelberg um 40.000 Tonnen zugenommen! Die Abgasformel von Luxemburg erwies sich als Flop. Bis heute sind in der Bundesrepublik ganze 588.000 Autos mit dem geregelten Drei–Wege–Katalysator ausgerüstet, der einzigen Technik, die wirklich weitgehende Schadstoff–Einsparungen bringt. Bei 27 Millionen zugelassenen Pkw sind das nur wenig mehr als zwei Prozent Kat–Autos. Nach dem gestern in Brüssel vereinbarten neuen EG–Abgas– Kompromiß wird sich daran nichts ändern. Der geregelte Dreiwegekatalysator bleibt nur für Luxus–Fahrzeuge ab zwei Liter Hubraum Pflicht. Der neue Kompromiß ist nichts anderes als die Bestätigung der alten Luxemburger Formel. Diese Formel war europaweit nie rechtswirksam geworden, weil Dänemark den Kompromiß für zu lasch hielt und sein Veto eingelegt hatte. Italien, Frankreich und Großbritannien hatten ohnehin keine Eile, der dänische Einspruch kam ihnen nur gelegen. Erst jetzt, zwei Jahre später, soll das Luxemburger Abgas– Konzept definitiv Gesetz werden. Zum 1.Oktober 1988 müssen dann innerhalb der EG alle Fahrzeuge über zwei Liter Hubraum die strengen Abgas–Werte der US– Norm erfüllen. Eine Norm, die nur mit dem Dreiwegekat einge halten werden kann. In der Mittelklasse von 1,4 bis zwei Litern gelten dagegen EG–Grenzwerte, die schon durch einfache Verbesserungen von Zündung und Vergaser erreichbar sind. „Du brauchst nur den Vergaser richtig einstellen und schon bist du in der EG– Norm“, karikiert man beim Umweltbundesamt die laschen Abgas–Vorschriften, die zudem erst ab 1992 in der Mittelklasse in Kraft treten. Bei den Kleinwagen bis 1,4 Litern soll spätestens 1991 eine EG–Abgasnorm Pflicht werden, die bis Ende des Jahres noch ausgehandelt werden muß. Auch in dieser Klasse wurde die strenge US–Norm abgelehnt. Stattdessen sollen Abgas–Werte eingeführt werden, die von allen Autoherstellern ohne Probleme zu erfüllen sind. Trotz dieser Schlappe für den Umweltschutz bringt die Brüsseler Entscheidung vom Dienstag auch zwei Bonbons. Zunächst wird den Deutschen erlaubt, verbleites Normalbenzin mit Beginn des nächsten Jahres zu verbieten und vom Markt zu nehmen. Wer künftig bleihaltig tanken will (oder muß), ist auf das teurere Super angewiesen. Mit dieser Maßnahme wird der Verkauf bleifreien Benzins (bisher 11 Prozent) in der Bundesrepublik sicherlich zunehmen und auch die Kaufentscheidungen bei Neuwagen beeinflußt. Noch interessanter ist der dänische Alleingang von Brüssel. Durch den neuen Artikel 100 A der EG können die Dänen aus dem flauen EG–Kompromiß ausscheren und einen strengeren Kurs fahren. Art. 100 A sieht vor, daß ein Land bei einer Abstimmungsniederlage im Ministerrat schärfere einzelstaatliche Maßnahmen aus Gründen des Gesundheits– Arbeits– oder Umweltschutzes erlassen kann. Genau diese Abstimmungsniederlage haben die Dänen am Dienstag, kurz nach Inkrafttreten des 100 A, provoziert. Einziger Vorbehalt für das dänische Solo: Daraus dürfen keine Handelshemmnisse entstehen. Da Dänemark aber keine eigene Autoindustrie hat, stehen Handelshemmnisse außer Frage. Der Weg zur geplanten verbindlichen Einführung des geregelten Drei–Wege–Kats für sämtliche Autos ist frei. Damit hat Kopenhagen bewiesen, daß der einst von „Ankün digungsminister“ Zimmermann prophezeihte nationale Alleingang tatsächlich möglich ist. Keine Einigung erzielte die EG bei den Dieselfahrzeugen. Diesel gelten bisher in der Bundesrepublik automatisch als abgasarm. Der Ausstoß von 13.OOO Tonnen krebserregender Rußpartikel durch die Diesel–Pkw wird sogar durch steuerlichen Abzug ausdrücklich begünstigt. Diesel machen mehr als zwei Drittel der „schadstoffarmen“ Fahrzeuge in der BRD aus. Sie sind der Hauptgrund für die frisierten Bilanzen, in denen von bundesweit 12 Prozent schadstoffarmen Autos die Rede ist. Tempolimit ohne Chance Die EG–Minister einigten sich jetzt auf eine „Zielvorgabe“ für Diesel. Sie wollen sich, so die Brüsseler Erfolgsmeldung, bis Ende des Jahres auf einen Diesel– Grenzwert einigen. Als kosmetische Maßnahmen wurde eine unverbindliche Richtlinie (0,8 Gramm Rußpartikel pro m3) in die Vereinbarungen aufgenommen. Daß die Brüsseler Beschlüsse zur Schadstoff–Reduktion die Luftverschmutzung durch Autoabgase nicht stoppen werden, zeigen die jüngsten Zahlen über die deutschen Autofahrer. Nach Angaben der Shell AG ist die jährliche Fahrleistung der Deutschen 1986 um 600 km gestiegen. Jeder Autobesitzer legte durchschnittlich 13.683 km zurück. Da außerdem deutlich schneller gefahren wird, eine „gesteigerte Nachfrage nach größeren Wagen“ (Shell) besteht und sich die Zahl der Neuzulassungen weiter in schwindelerregenden Rekordhöhen bewegt, wird der Schadstoff–Ausstoß durch deutsche Auspuffrohre auch in den nächsten Jahren eher zu– als abnehmen. Ein Tempolimit, das nach Berechnungen des Umweltbundesamtes mehr als 200.000 Tonnen Stickoxid einsparen würde (bei insgesamt 1,7 Mio Tonnen), ist auch mit dem neuen Umweltminister Töpfer nicht zu machen. Töpfer hatte sich zwar mit der Äußerung vorgewagt, man müsse „differenziert“ mit dem Tempolimit umgehen und sich für begrenzte Maßnahmen ausgesprochen, doch bereits mit dieser Position ist er im Kabinett Kohl aufgelaufen. Unter Druck geriete die Bonner Bleifuß– und Autolobby vermutlich nur durch den Wettergott: schon ein trockenes Jahr, so befürchten Umweltschützer, würde ausreichen, um beim Waldsterben die Eskalation zu bringen. Manfred Kriener