„Unvergeßlich – man muß es nur betonen“

■ Der Berliner Wasserkorso wurde zum ersten 750er Erfolg / Venezianische Prachtgondeln / Polizei fand kein einkesselbares Problem / Akademisches Proletariat stark ausgedünnt: Wer ganze Sätze sprechen kann, bekommt einen Fest–Job

Von Bord Klaus Nothnagel

Berlin (taz) - „Ein unvergeßliches Erlebnis - man muß es nur immer wieder betonen“, ruft der junge Mann in der weißen Stewart–Jacke mit geheuchelter Begeisterung durchs Megaphon. Der Senat war wieder einmal doof aber gerissen und hat die Satire gleich für gutes Geld mitgekauft. Die Comedy–Truppe „Kleine Tierschau“, die beim „Wasserkorso“ zur 750er–Jahrfeier einen senatseigenen, reich entlohnten Gratisfahrdienst mit Showeinlagen betreibt, genießt den ungewohnten Auftrag: „Das ist unser Durchbruch zum Rentnerpublikum!“ Der Reisebus, feierlich zum Motorschiff „Spreedose“ umgetauft, setzt sich am Ufer des Kreuzberger Landwehrkanals in Bewegung; und wenig später sagt der Conferencier noch etwas, das wie ein Motto über dem gesamten 750–Jahr–Rummel des zwanghaft festgestimmten Berlins stehen könnte: „Der Kapitän singt jetzt ein Lied. Entschuldigen Sie, es ist furchtbar, aber er ist der Kapitän!“ Natürlich war beim großen Wasserkorso am vergangenen Samstag auch der Regierende Bürgermeister Diepgen zugegen, dessen Festansprachen grundsätzlich mit Pfeifkonzerten quittiert werden - aber er ist der Kapitän. Dabei hätten unzählige Berliner und Berlinparasiten allen Grund, ihm dankbar zu sein - die Polizisten beispielsweise, die den Schiffskonvoi in voller Länge quer durch die Stadt über Landwehrkanal, Spree und Havel beobachteten, mit Mannschaftswagen, Infanterie und Lufttruppen: Mehrere Hubschrauber kreisten konfus über der großflächigen Veranstal tung, ohne daß die Besatzungen irgendein zusammenknüppelbares, begasbares oder einkesselbares Problem hätten ausmachen können. Ein friedlicher Einsatz, der trotzdem den opulenten Personalstand der Berliner Staatskrieger demonstrierte. Oder die Studenten und Studierten: Dem Senat ist es, erstmals seit Jahren, gelungen, die Personenstärke des akademischen Proletariats erheblich zu reduzieren. Es kann kaum noch arbeitslose Kopfarbeiter geben in diesem Festjahr: Alles was gesunde Arme und Beine hat und ganze Sätze sprechen kann, ist mit Werkverträgen bei der „Berliner Festspiele GmbH“ untergekommen; wer Le sen und Schreiben kann, durfte in leitender Position Festmaßnahmen verantworten. Andreas Schroth und Christine von Oertzen sind glücklicherweise von anderem Kaliber. Fast drei Jahre lang haben sie die historische Schiffsparade vorbereitet, sind mit erfreulichen und bedauerlichen Überraschungen konfrontiert worden: Binnenschiffer aus Minden boten von sich aus Schlepp– und Lotsendienste für die westdeutschen und ausländischen Kähne an. Doch beinahe wäre solches Engagement vergeblich gewesen: Die DDR–Grenzbehörden hielten vorübergehend eine Gruppe holländischer Schiffe fest - wahrscheinlich, um sie für den eigenen, Ost–Berliner Korso zwangszuverpflichten, wie der Volksmund gleich via Boulevardblätter argwöhnte. Wenn Schroth und Oertzen den Wasserkorso schließlich zum ersten Erfolg der 750er–Feier, zum ersten begeistert aufgenommenen Ereignis mit Volksfestcharakter gemacht haben, so hängt das damit zusammen, daß die zwei Veranstalter vor allem ein Eigeninteresse verwirklicht haben. Unter der Hand, fast unmerklich, sind sie zu Hydromanen geworden; im Endstadium der Korsovorbereitungen haben beide den Motorbootführerschein gemacht, und ihr Produkt, ihr Gesamtkunstwerk ist eine unwiderstehliche Mischung aus historischer Live– Dokumentation, volkstümlicher Skurrilitätenschau und purem, sinnlosen Augenspaß geworden. „Det muß ick doch sehen, kriegt man doch im Leben nich wieder“, sagt eine mindestens 90jährige, die für die langen Wartezeiten einen Campingklappstuhl mitgebracht hat. Mit Picknicktaschen und Trittleitern, mit Agfa–Klick–Kameras und Videomaschinen hatten sich die gewohnt pfiffigen Berliner ihre Logenplätze geschaffen. Etwa eine halbe Million Zuschauer sollen es gewesen sein; Gedränge gab es nicht, denn Berlin hat mehr Brücken als Venedig, und wer den Regen fürchtete, richtete sich im verglasten Kanalviadukt des U–Bahnhofs Möckernbrücke ein. Segelschiffe, Dampfer, Ruderboote, Gondeln, Hausbootähnliches aus den Niederlanden, das größte Schiffsmodell der Welt (MS Bremen, Helgoland–tauglich!), Amphibien–Autos und ein 100 Meter langes Floß aus dem Schwarzwald: Ein Fest für Augen und Ohren. Und als die Venezianer kamen, glaubte man zu träumen - vorn in der großen Prachtgondel saß ein komplettes Bläserensemble, das mit zarten Klängen großen Applaus holte. In der Mitte der Gondel dinierte ein Liebespaar in Rokkoko–Kostümen mit Wein und Früchten. Dahinter die kleineren Prachtgondeln mit heftig palavernden, ansteckend gutgelaunten Gondolieri: Das alles und noch viel mehr, mitten in Preußen, mitten im Zeitalter der historischen Amnesie, am ersten Tag der 750–Jahr–Feier, der einen Eindruck geben konnte von der Faszination dieser alten Stadt, die niemals mit sich fertig wird.