Zwangsentmummung in Berlin

■ Innensenator Kewenig läßt Mun–Gegner terrorisieren / Wird der Berliner Kessel zum polizeistaatlichen Alltag ? / „Bei Nasenbluten braucht man keinen Arzt“ / Schützt der Senator die Mun–Sekte ?

Aus Berlin Plutonia Plarre

Der Berliner Innensenator Kewenig, der als Verantworlicher für die Abriegelung eines ganzen Stadteils anläßlich des Reagan– Besuches unlängst von sich reden machte, glänzte am vergangenen Freitag durch neue Taten: Starke Polizeieinheiten spalteten einen friedlichen Demonstrationszug gegen die Mun–Studentenorganisation CARP, um eine kleine Gruppe Vermummter zu isolieren und zur Personalienfeststellung abzuführen. Kewenig kündigte an, daß die Polizei in Zukunft konsequent das „geltende Vermummugsverbot“ durchsetzten werde. 800 Leute hatten sich am vergangenen Freitag im Bezirk Schöneberg eingefunden, um gegen die Abhaltung des 4. Weltkongresses der Mun–Studentenorganisation CARP, der Anfang August in Berlin stattfinden soll, zu demonstrieren. Die Polizei stoppte den Zug wenige Meter nach Abmarsch und forderte die etwa 100 vermummten Teilnehmer mehrmals auf, die Masken abzunehmen. Die Veranstalter entgegneten über Lautsprecher jedoch, daß sie sich mit der Vermummung vor einer Verfolgung durch die Mun–Sekte schützen wollten: Es sei bekannt, daß Unterorganisationen der Sekte in den vergangenen Tagen wiederholt Flugblattverteiler gefilmt hätten, einzele Personen seien von Sektenanhängern sogar bis vor ihre Haustür verfolgt worden. Mutmaßliche Mun–Videoteams und Fotografen seien auch am Rande der Demonstration gesichtet worden. Ein Sondereinsatzkommando der Polizei trieb kurz darauf mit äußerster Brutalität einen Keil in die Demonstranten und spaltete den Zug. Der autonome Block wurde unter Schlagstockeinsatz abgedrängt und eingekesselt. Der hatte sich inzwischen längst seiner Masken und Tücher entledigt. Weil keiner der „ehemals Vermummten“ der Aufforderung der Polizei nachkam, sich freiwillig durchsuchen zulassen, fuhren die ersten Gefangenentransporter auf. Die übrige Demonstration war inzwischen von den Veranstaltern aufgelöst worden, Menschenansammlungen rechts und links der Straße beobachteten ohnmächtig den Abtransport der Festgehaltenen. 146 Personen mußten die halbe Nacht zur Personalienfeststellung und Fertigung einer Ordnungswidrigkeitsanzeige auf einer Gefangenensammelstelle bleiben. „Wie bei uns Ordnungswidrigkeiten verfolgt werden“, verdeutlichten die Veranstalter der verhinderten Demonstration anhand eines Videofilms auf einer Pressekonferenz am Samstag. Viele der im Kessel Festgehaltenen waren vor dem Gefangenentransporter gewaltsam fotografiert worden, indem ihnen der Kopf an den Haaren nach hinten gerissen wurde. Ein junger Mann mußte über eine halbe Stunde mit erhobenen Armen breitbeinig an einem Polzeiwagen stehen. Eine Frau wurde von mehreren männlichen Polzisten abgestastet. Die Veranstalter berichteten, daß einer anderen Teilnehmerin, die sich gegen das Fotografieren verwahrt hatte, von Beamten gewaltsam eine Motorradmaske über das Gesicht gezogen wurde. Die Aufforderung, die Dienstnummern herauszugeben, sei von den Beamten grundsätzlich mit einem „Achselzucken“ beantwortet worden. Einem jungen Mann, der von dem Polizeieinsatz Nasenbluten davongetragen hatte, sei entgegnet worden: „Bei Nasenbluten braucht man keinen Arzt.“ Durch ihr „unverhältnismäßiges Vorgehen“ habe die Polizei das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit „außer Kraft gesetzt“, erklärten die Veranstalter. Bei einer Ordnungswidrigkeit dürften nur die Personalien aufgenommen werden, jedoch keine Festnahmen erfolgen. Nicht zuletzt habe Innensenator Kewenig, der durch seine Teilnahme an einem Mun–Kongreß in Los Angeles 1987 in „zweifelhafter Beziehung“ zu der Sekte stünde, der CARP–Studentenorganisation mit diesem Vorgehen „Vorschub geleistet“.