Gericht spricht Kunzelmann frei

■ Berliner Senat darf als „kriminelle Vereinigung“ bezeichnet werden / Auch taz–RedakteurInnen, die diese Aussage veröffentlichten, haben sich keiner Verunglimpfung des Staates schuldig gemacht

Aus Berlin Myriam Moderow

Der Berliner Senat darf im Zusammenhang mit dem Korruptions– und Bauskandal getrost als „kriminelle Vereinigung“ bezeichnet werden. Das sei zwar eine „sehr harte Kritik“, urteilte gestern das Berliner Amtsgericht, eine „Verunglimpfung des Staates“ stelle dies jedoch nicht dar. Zwei Tage lang hatte das Moabiter Gericht gegen drei RedakteurInnen des Berliner Lokalteils der taz und den früheren AL–Abgeordneten Dieter Kunzelmann verhandelt, weil sie im März letzten Jahres gemeinsam den Staat verunglimpft und damit gegen Paragraph 90a STGB verstoßen haben sollen. Die politische Staatsanwaltschaft hatte die Ermittlungen eingeleitet, nachdem der frühere APO–Aktivist Kunzelmann in einem taz–Interview auf dem Höhepunkt des Berliner Korruptionsskandals den Senat als „kriminelle Vereinigung“ bezeichnet hatte. Der Prozeß hatte in Berlin einigen Wirbel verursacht und Dieter Kunzelmann einen Monat U–Haft eingebracht. Weil sich das Gericht geweigert hatte, Akten aus den Korruptionsprozessen und dem Untersuchungsausschuß des Abgeordnetenhauses heranzuziehen, mit denen Kunzelmann die kriminellen Machenschaften des Senats belegen wollte, hatte sich der „Aktionspolitologe“ (Eigenbezeichnung) einfach aus dem Staub gemacht. Nach einem Handgemenge mit dem Regierenden Bürgermeister war Kunzelmann Ende Juni in den Knast eingefahren. Der gestrige Freispruch kam für alle Verfahrensbeteiligten überraschend. Richter Scholz bil ligte den Angeklagten zu, daß das Interview mit für die „Aufdeckung von Dingen“ gesorgt habe, „die nicht hätten geschehen dürfen“. Kurze Zeit nach dem Interview waren die Senatoren Lummer, Vetter und Franke wegen ihrer Verwicklungen in den Korruptionsskandal zurückgetreten, zahlreiche Politiker wanderten in Untersuchungshaft. Das Interview sei ein Beitrag dazu gewesen, „daß Dinge in Fluß kamen“, sagte der Richter in der Urteilsbegründung. Staatsanwalt Dahlheimer hatte Geldstrafen für alle Angeklagten gefordert: 90 Tagessätze a 20 Mark für Kunzelmann und 30 bzw. 40 Tagessätze a 40 Mark für die drei taz–RedakteurInnen. Kunzelmann habe „sehr starke Worte“ gewählt, um den Staat „böswillig verächtlich“ zu machen. Sein Ziel sei nicht gewesen, die eigentlichen Mißstände anzuprangern, sondern „zu verunglimpfen“ und sich selbst bekannt zu machen. Die taz–Journalisten, die das Interview geführt und veröffentlicht hatten, müßten sich diese strafbaren „Äußerungen zurechnen lassen“. Die Verteidiger bezeichneten das Verfahren als „Schutzwall für korrupte Politker“. Die taz und Kunzelmann seien ihrer Pflicht nachgekommen, Mängel aufzuzeigen und zu veröffentlichen. Das sei „ehrenwert“. Mit dem Prozeß werde versucht, eine „wahre Aufklärung“ des Korruptionsskandals zu verhindern. Es sei eine „Hilfe für kriminelle Politiker, ihre Geschäfte weiter zu betreiben“. Besonders absurd sei, den taz–Journalisten vorzuwerfen, daß sie Kunzelmanns Äußerungen dokumentierten. Dieter Kunzelmann, der im blauen Anstaltsdress zur Verhandlung erschienen war und neben Fritz Teufel noch viele andere alte Freunde im Zuschauerraum begrüßen konnte, bezeichnete den Prozeß als „würdigen Beitrag der Moabiter Strafjustiz zur 750–Jahr– Feier“. Er wolle lieber in den Knast gehen, als eine Geldstrafe zu bezahlen.