Streit um Chilenen - Kohl schweigt

■ CDU–Generalsekretär Geißler stellt sich hinter Blüms Forderung nach Aufnahme der chilenischen Todeskandidaten / Koalitionsstreit weiter verschärft / SPD fordert Sondersitzung

Berlin/Bonn (ap/taz) - „Beweise, die ein Folterstaat vorlegt, sind nicht mehr wert als das Papier, auf dem sie gedruckt sind.“ Mit diesen Worten stellte sich der CDU–Generalsekretär Heiner Geißler gestern hinter seinen Parteifreund Norbert Blüm. Bundesarbeitsminister Blüm hatte auf seiner Chile–Reise mit Nachdruck die Aufnahme der zum Tode verurteilten Chilenen in der Bundesrepublik gefordert. Blüm, so Geißler vor der Bonner Presse, habe eindeutige Beweise vorliegen, daß die Todeskandidaten, die zum Teil seit sieben Jahren in Haft sind, gefoltert worden seien. Auch die deutsch–chilenische Lehrerin Beatrice Brinkmann, die Blüm am Sonntag in Gefängnis von Valdivia besuchte, sei in den ersten Tagen nach ihrer Verhaftung gefoltert worden. Man habe sie mit Elektroschocks und Stockschlägen mißhandelt und tagelang mit verbundenen Augen in der Zelle dahinvegetieren lassen. Dabei habe sie die Schreie der anderen Gefolterten mitanhören müssen. Der Bundesarbeitsminister habe sich mit seinen Äußerungen in Chile nicht an die Kabinettsentscheidungen gehalten, distanzierte sich dagegen der CDU– Parlamentarier und Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Sterken. Blüm, der ja mit am Kabinettstisch gesessen habe, habe mit seinem Auftritt in Santiago gegen die Weisung des Kanzlers gehandelt, der bezüglich der von der Todesstrafe bedrohten Chilenen auf „kein Handlungsbedarf“ entschieden habe. Der Kanzler müsse sagen, was jetzt aufgrund der Äußerungen Blüms zu geschehen habe. Der Kanzler, bereits auf die Angriffe des CSU–Vorsitzenden Strauß gegen seinen Arbeitsminister angesprochen, lehnte eine Stellungnahme ab. Kohl, der zur Zeit in Sankt Gilgen an Wolfgangssee Urlaub macht, autorisierte das Bundeskanzleramt zu der Erklärung: „Kein Kommentar“. CSU–Chef Strauß, der behauptet hatte, Kohl unterstütze die Position Innenminister Zimmermanns, hatte gewarnt: „Wenn es dem Kanzler nicht gelingt für Ordnung zu sorgen, zahlt er zum Schluß die Zeche.“ Fortsetzung auf Seite 5 Kommentar auf Seite 4 Die stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU, Hanna–Renata Laurien, stellte sich auf Nachfrage der taz deutlich hinter ihre Parteifreunde Blüm und Geißler: „Eine Aussage unter Folter kann einen Menschen unter Umständen dazu bringen, einen Mord zu ge stehen, den er gar nicht begangen hat.“ Auf die Angriffe der CSU parierte Blüm, der inzwischen nach Peru weiterreiste, bereits von Chile aus: „Es gibt nur einen Skandal und das ist die Folter. Demgegenüber sind alle anderen Querelen drittklassiger Natur.“ Die SPD–Bundestagsfraktion beantragte eine gemeinsame Sondersitzung des Innenausschusses und des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten. SPD–Par teichef Hans–Jochen Vogel erklärte, Mitglieder der Bundesregierung versuchten, sich auf dem Rücken der Chilenen gegenseitig politisch zu profilieren. Diesem „unerträglichen Zustand“ müsse unverzüglich dadurch ein Ende bereitet werden, daß den Betroffenen sogleich die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland gestattet werde. Auch die Grünen unterstützten die „klare Haltung“ Blüms. Der Sprecher des Innenministeriums, Butz, bekräftigte noch einmal den unbeweglichen Standpunkt Zimmermanns, daß es sich bei den Todeskandidaten um Gewalttäter handele. Nach dem Saarland, Nordrhein–Westfalen, Hamburg und Bremen hat sich auch das CDU–regierte Niedersachsen zur Aufnahme der 15 Todeskandidaten grundsätzlich bereiterklärt. time/k.k.