I N T E R V I E W „Eine Mitverfügung lehnt die SPD ab“

■ Karsten Voigt zum Vorschlag einer möglichen Stationierung französischer Neutronenwaffen in der BRD

taz: Was halten Sie von dem Vorschlag führender französischer Politiker, französische Neutronenbomben in der BRD zu stationieren? Voigt: Ich war gegen die Stationierung von amerikanischen Neutronenwaffen und ich bin gegen die Stationierung von französischen Neutronenwaffen auf deutschem Boden. Dieses Angebot bewegt sich im Rahmen der Debatte um die deutsch–französische Militärzusammenarbeit. Auch die SPD propagiert eine Verstärkung der Achse Bonn–Paris. Die SPD ist eindeutig für eine engere deutsch–französische Zusammenarbeit im Bereich der konventionellen Streitkräfte. Dadurch würde im konventionellen Bereich die Abhängigkeit von den USA geringer werden, und zwar ohne konventionelle Aufrüstung. Im atomaren Bereich gibt es die Frage, inwieweit uns die Franzosen über die Zielplanung und Strategie ihrer „prästrategischen Systeme“ informieren. Das ist jedoch keine Frage der Mitentscheidung. Eine Mitverfügung über französische Atomwaffen lehnt die SPD ab. In der Tat gibt es eine Gruppe innerhalb der französischen Sozialisten, die einer deutschen Regierung eine atomare Mitverfügung anbieten wollen. Sie haben 1983 ein deutsches Vetorecht beim Einsatz von Atomwaffen gefordert. Bestehen da nicht auch Berührungspunkte zwi schen den französischen Sozialisten und deutschen Sozialdemokraten? Ich war damals Sprecher einer Minderheit in der SPD, die von den USA ein technisch garantiertes Veto–Recht für die in der BRD stationierten amerikanischen Atomwaffen gefordert hat. Aber hier geht es um Atomraketen auf französischem Boden, und da ich gegen die Stationierung von französischen Atomwaffen auf deutschem Boden bin, stellt sich die Frage eines zweiten Schlüssels hier nicht. Ein Teil der SPD hat die Aufstellung einer deutsch–französischen Brigade spontan begrüßt. Damit würde die französische „Atomgarantie“ jedoch erstmals für Bundeswehr– Soldaten gelten. Jenseits der politischen Symbolik muß man sich bei der deutsch–französischen Brigade die praktischen Folgen überlegen: Da existiert das Problem des französischen Atomschirms für den deutschen Teil der Brigade. Zweitens darf die BRD nicht den Verdacht aufkommen lassen, als wollte sie sich über die deutsch–französische Zusammenarbeit schrittweise der NATO–Integration entziehen. Wenn Sozialdemokraten die deutsch– französische Brigade begrüßt haben, wollten sie damit das Prinzip der deutsch–französischen Zusammenarbeit im konventionellen Bereich unterstützen. Die SPD propagiert das Konzept der Selbstbehauptung Europas. Wird von der SPD nicht übersehen, daß die Franzosen viel größere Atomfetischisten sind als die USA? Das Konzept der Selbstbehauptung wird die sicherheitspolitische Abhängigkeit von den USA nicht völlig beseitigen, sondern nur verringern - es sei denn, man bejaht eine westeuropäische Atomstreitmacht. Das tue ich nicht, weil dadurch die Entmilitarisierung des Ost–West–Konflikts prinzipiell erschwert würde. Aber ich möchte selbstkritisch hinzufügen: In der Auseinandersetzung um die Pershing–Stationierung hat sich auch innerhalb der SPD der Irrtum verbreitet, die Hauptgegner atomarer Abrüstung säßen in den USA. Und einige sozialdemokratische Kritiker an manchen atomaren Konzeptionen in den USA haben sich gegenüber der Rolle von Atomwaffen im französischen Denken nicht dasselbe Ausmaß an Kritik bewahrt. Zwischen der SPD und allen großen französischen Parteien bestehen jedoch grundsätzliche Unterschiede in der Bewertung des Prinzips atomarer Abschreckung. Das machen sich manche Sozialdemokraten nicht genügend bewußt. So gibt es intern in der SPD einzelne Stimmen, bei denen die verständliche Kritik an den USA dazu führt, daß sie gegenüber den Risiken einer westeuropäischen Militärzusammenarbeit im atomaren Bereich nicht kritisch genug sind. Übrigens findet sich diese Haltung intern auch innerhalb der Grünen. Interview: Ursel Sieber