„Die Türken“ antworten Wallraff

■ Letzter Akt im „Fall Wallraff“: Türkische Mitarbeiter Günter Wallraffs beim Buch „Ganz unten“ nehmen noch einmal Stellung zum Streit über den Bestseller / „Große Verbreitung ohne Wallraff nicht möglich“ / Personenkult versus politische Wirkung / Dialog gescheitert / Was bleibt, ist der politische Konflikt

Von Benedict M.Mülder

Berlin (taz) - Immer noch nicht ausgestanden ist der Streit um Günter Wallraffs Enthüllungsbuch „Ganz unten“ über Ausländerfeindlichkeit, miese Leiharbeitspraktiken und unwürdige Arbeitsbedingungen vor allem für türkische Arbeitnehmer (taz vom 19.6.). Die, die Wallraff selbst beschäftigt hatte, warfen ihm vor, sich wie ein schlechter Arbeitgeber verhalten und seine politischen Versprechungen nicht eingehalten zu haben. Wallraff hat inzwischen manche der Vorwürfe eingestanden und auch zugegeben, daß sein Buch ohne die Mitarbeit vieler türkischer und deutscher Kollegen nicht möglich gewesen wäre. Doch der Graben, der die Kontrahenten trennt, ist nach wie vor tief. Einzelkämpfer und Sektierer Das mag an persönlichen Animositäten liegen, die im Laufe der Jahre zwischen den früheren Freunden gewachsen sind. Insbesondere seine früheren türkischen Mitarbeiter Levent Sinirlioglu, Taner Aday und andere sahen sich durch Wallraffs im Spiegel veröffentlichte Reaktion als „Sektierer“ verunglimpft. „Der Schriftsteller und Individualist Wallraff“, so begründen sie nun in einem mehrseitigen Papier ihren neuerlichen „Ausflug an die Öffentlichkeit“, „reagierte wie eine Gummiwand. Er nahm unsere Kritik verbal an, um uns dann um so schlimmer zu diffamieren“. Um jedem falschen Verdacht vorzubeugen, betonen sie zu Beginn aber auch, „daß wir gegen rechte Angriffe an der Seite Wallraffs stehen, daß wir jeden Satz in dem Buch Ganz unten unterstreichen und auf eine politische Wirkung hoffen, die den hier lebenden AusländerInnen etwas helfen kann.“ Auf die Stellungnahme der Türken einzugehen, scheint auch deshalb gerechtfertigt, weil die Fach zeitung der Deutschen Journalistenunion (dju), Die Feder, Wallraff vor nicht allzu langer Zeit als Prototypen des synthetischen Schriftstellers gefeiert hat, der den „klassischen Begriff des Schriftstellers“ abgeschafft habe. Nur, zu welchem Preis? Wallraffs Rollenjournalismus - unterlegt mit einem Schuß Betroffenheitskult - und seine Praxis als demokratischer Schriftsteller steht zur Debatte - für ihn selbst wie auch seine Fan–Gemeinde. Schließlich ist es auch die ihrer Ansicht nach kritikwürdige Haltung des DGB zur Ausländerpolitik, die die Türken dazu veranlaßt hat, Wallraff zu antworten und das „gemeinsame politische Projekt gegen den neuen Rassismus“ einzuklagen. Zwar geben sie zu, daß die große Verbreitung des Buches mit seinem Namen und seinen Verwandlungskünsten zu tun habe, meinen aber, daß Wallraff „einer möglichen politischen Wirkung im Wege stand, weil er sich als Held in den Vordergrund schob bzw. schieben ließ“. Statt solidarisch mit seinen „Helfern“ zu sein, so ihre konkreten Vorwürfe, habe er sie in einer Boulevard–Zeitung als prügelnde, rachsüchtige Türken, hinter denen eine dunkle Organisation lauere, dargestellt. In der nicht eben fortschrittlichen türkischen Tageszeitung Hürriyet habe er ihnen außerdem vorgeworfen, keine echten „türkischen Arbeiter“ zu sein. Letztlich habe er sie als Sektierer darstellen wollen, weil „einige von uns die Ausländerpolitik des DGB kritisch diskutieren wollten“. So hatten sie zum Beispiel öffentlich darüber diskutieren wollen, warum ein DGB–Vertreter vor Veröffentlichung des Buches seine Unterstützung mit der Begründung abgelehnt habe, die „DGB–Basis sei leider zu ausländerfeindlich“. Sie hatten wissen wollen, weshalb die vielen türkischen DGB–Mitglieder nicht in einflußreichen DGB–Positionen erscheinen und schließlich auch darüber sprechen wollen, daß das „Türkenproblem nicht erst mit der Wenderegierung entstanden sei“. Zusammenfassend schreiben sie: „Unser Eindruck war: Alles sollte mit Hilfe Wallraffs in dem Rahmen bleiben, den der DGB gerade noch vor dem deutschen Alltagsbewußtsein verantworten kann. Deshalb werden wir mit unserem Anliegen (von Wallraff, d.red.) als Sektierer angegriffen.“ Wallraff fühlt sich seit Erscheinen des Erfolgsbuches seinerseits in einem zermürbenden Konflikt (“Alle zwischenmenschlichen Kontakte, familiären Beziehungen sind plötzlich unterbrochen. Es war, als wenn ein Krieg losgegangen wäre.“) Den Dialog mit ihm sehen Sinirlioglu, Aday und die anderen „vorerst“ als gescheitert an. Sie meinen abschließend, die Mauer, mit der Wallraff sich umgeben habe, sei zu dick. Nach all dem scheint Wallraffs Sehnsucht, ein „altmodischer Schriftsteller“ zu sein, mehr als berechtigt.