Italiens Regierungsbildung: Reserven nach vorn

■ Der 44jährige Giovanni Goria bildet ein Übergangskabinett / Nur eine Frau, dafür viele Aufsteiger und Technokraten / 15 Ressorts für die Christdemokraten, neun für die Sozialisten, ein Liberaler als Verteidigungsminister / Nächste Regierungskrise schon in diesem Herbst?

Aus Rom Werner Raith

91 Tage nach Ausbruch der Regierungskrise und sechs Wochen nach den Neuwahlen hat der bisherige italienische Schatzminister, der Christdemokrat Giovanni Goria, aus den früheren Regierungsparteien buchstäblich ein Kabinett zusammengestoppelt - mit mehrstündiger Verspätung erst konnte er die Ministerliste präsentieren, weil sich Liberale, Republikaner und Sozialdemokraten noch um „bedeutende“ Ämter stritten. So haben nun die Christdemokraten 15 der 30 Ressorts inne, die Sozialisten neun, die Republikaner und die Sozialdemokraten drei, die Liberalen nur eines, allerdings ein sehr wichtiges: die Verteidigung. Nach Angabe Gorias soll die neue Administration eine Art „Übergang“ darstellen, ohne jedoch identisch zu sein mit den herkömmlichen „Badekabinetten“, die sich Italien früher während der Sommerpause zugelegt hatte und die prompt im Herbst einer „ernsten“ Regierung Platz machen mußten. Wohin der „Übergang“ stattfinden soll, hat Goria bisher freilich offengelassen: Seine eigene Partei macht kein Hehl daraus, daß sie aus ihrem Youngster - er wird heute 44 Jahre alt - ein Gegengewicht zum ebenfalls für eine neue Regierungs–Generation stehenden Sozialisten Craxi machen will. Der PSI seinerseits feiert die neue Regierung als seinen Sieg - erstmals habe, so Craxi, „nicht die politische Blockbildung, sondern das Programm im Vordergrund gestanden“, eine Formulierung, die angesichts des Neuaufgusses der alten Koalition im Land mächtiges Gelächter hervorgerufen hat, zumal der Verdacht besteht, Craxi meine es eher ernst mit einem anderen Ausspruch: „Ich will freie Hände haben und werden meine Politik nun von außerhalb der Regierung durchsetzen.“ Tatsächlich gehören dem neuen Kabinett nur wenige persönlich einflußreiche Minister an (Andreotti, 68, und Fanfani, 79), geblieben sind auch der Weinskandalminister Pandolfi (60) und der Gesundheits–Chaot Donat Cattin (69). Wichtige Ressorts wie das Schatz– und das Justizministerium (in diesem Bereich stehen zwei Volksentscheide an) haben die Sozialisten den Christdemokraten ebenso abgeknöpft wie den Posten des Goria–Stellvertreters im Kabinett. Ansonsten haben die Parteien den Aufsteiger Goria eingemauert in zahlreiche Aufpasser der Parteigrößen, dazu einige Technokraten gesellt. Besondere Enttäu schung: wieder gehört der Regierung nur eine einzige Frau an. Die umstrittene Schulministerin Franca Falcucci wurde gefeuert, ihren Platz nimmt ein publicity– mächtiger Journalist ein. „Die“ Frau im Kabinett ist nun die 51jährige Christdemokratin Rosa Russo Jervolino, die nicht einmal ein eigenes Amt bekommt, sondern Goria direkt untersteht: Sie soll sich um Familie, Jugend und Drogenabhänige kümmern. Das Programm, auf das sich nun alle berufen, stellt sich bei genauer Lektüre als, allerdings etwas konzentrierter Aufguß der bisherigen Regierungstätigkeit dar: Wirtschafts–laissez–faire und außenpolitischer Schaukelkurs zur Förderung des Warenabsatzes. Im Journalisten–Jargon heißt das Kabinett bereits „Goria 1“ - in Erwartung eines Bruchs der Koalition im Herbst, spätestens jedoch im kommenden Frühjahr.