: Wirtschaftswende in Hessen bleibt aus
■ Alternativprojekte arrangieren sich mit der neuen Wirtschaftspolitik / Von Klaus–Peter Klingelschmitt
Vollmundig kündigte die Regierung nach dem Machtwechsel in Wiesbaden an, der besondere Haushaltstitel für Alternativbetriebe würde gestrichen. 25 Millionen Mark hatte die rot–grüne Landesregierung für Projekte zur Verfügung gestellt, meist zinsgünstige Kredite mit Landesbürgschaft. Sonderförderung gibt es unter dem neuen Wirtschaftsminister und ehemaligen Malermeister Alfred Schmidt (FDP) nicht mehr, die hessischen Alternativprojekte sind in ihrer Existenz dennoch nicht bedroht, von wenigen Ausnamen abgesehen. Sie sollen, so der Minister, Förderanträge stellen wie jeder andere Betrieb auch.
Rund 70 „blaue Briefe“ trafen in den vergangenen Tagen bei diversen hessischen Alternativbetrieben ein, die - noch zu Zeiten des rot–grünen Bündnisses - Anträge auf Kredite nach den „Richtlinien zur Förderung selbstverwalteter Betriebe auf genossenschaftlicher Basis“ gestellt hatten. In diesen Briefen teilte die „Hessische Landesentwicklungs– und Treuhandgesellschaft mbH“ (HLT) im Auftrag des neuen hessischen Ministers für Wirtschaft und Technik, Alfred Schmidt (FDP), den Genossenschaften schlicht mit, daß ihr Antrag auf Förderung „leider keine Berücksichtigung mehr finden kann“. Mit der sogenannten „Hessen knete“ ist es vorbei, seit die schwarz–gelbe Koalition in Wiesbaden das Zepter schwingt. Zwar werden noch laufende Kreditverträge erfüllt, doch neue Abschlüsse - so der neue Herr im Ministerium für Wirtschaft und Technik - würden nicht mehr getätigt. Minister Schmidt: „Das Programm, das den Grünen zur Klientelbefriedigung gedient hat, gibt es nicht mehr.“ Was der Minister „Klientelbefriedigung“ nennt, das war die Eröffnung von Zugangsmöglichkeiten zu Krediten für selbstverwaltete Betriebe durch die rot– grüne Landesregierung. Projekte sollten zu Zinssätzen von fünfeinhalb bis sechs Prozent bei einer Laufzeit von zehn Jahren und einer Landesbürgschaft mit den gewünschten Darlehen ausgestattet werden. Von den insgesamt bereitgestellten 25 Millionen waren bis Ende Mai, am Tag des Kassensturzes, nur 13 Millionen DM ausgezahlt worden. Daß die Gelder nicht im vollen Umfang abberufen wurden, führt Thorsten Klienke, Mitarbeiter bei der Frankfurter Schreinerei „Holzkopp“, auf den enormen Aufwand zurück, den der Antragsteller habe betreiben müssen: „Für die paar Mark Darlehen wollten die alles von uns wissen. Das ging so weit, daß wir ganze Lebensläufe schreiben mußten.“ Daß es jetzt keine Staatsgelder mehr gibt, berührt die „Holzköppe“ wenig, denn einen wei teren Antrag hätte das Schreinerkollektiv ohnehin nicht mehr gestellt. Klienke: „Wenn es sein muß, bekommen wir auch bei einer ganz normalen Bank Kredit.“ Während der „Holzkopp“ den Vorteil hat, den Banken seinen Maschinenpark als Sicherheitsgarantie anbieten zu können, haben Projekte aus anderen Bereichen den Kreditinstituten wenig zu bieten. Etwa 150 Betriebe haben in den zurückliegenden zwei Jahren Kredite und/oder Zuschüsse (“Eigenkapitalhilfen“) in Anspruch genommen. Damit wurden rund 200 Arbeitsplätze geschaffen und gesichert und knapp 50 Ausbildungsplätze eingerichtet, wie Burkhard Bluem, Geschäftsführer des „Verbandes der Selbstverwalteten Betriebe e.V.“, dem neuen hessischen Ministerpräsidenten Walter Wallmann (CDU) bereits drei Wochen nach der Wende - schriftlich mitteilte. Das „persönliche Gespräch“, das Bluem dem Ministerpräsidenten mit gleichem Schreiben angeboten hatte, fand bisher nicht statt. Ohne den Kontakt mit der Interessenvertretung der selbstverwalteten Betriebe zu suchen, kippte der Wirtschaftsminister Ende Mai das Förderprogramm aus dem Haushalt. Das Angebot des Wirtschaftsministers an die Alternativbetriebe, demnächst Anträge im Rahmen der „normalen“ Wirtschaftsförderung stellen zu können, hält Bluem für ein „Windei“. Selbst wenn das Land weiter für Bankkredite bürgen würde, was nur 80 Prozent der Kreditsumme betreffe, wäre der Gang zu den Banken vergeblich: „Ein selbstverwalteter Betrieb bekam vor der Hessen–Knete keinen Kredit, und er wird auch danach keinen bekommen, es sei denn, er ist bereit, seine Rechtsform zu ändern.“ Aber dann sei der Alternativbetrieb ja keiner mehr und das Problem „erledigt“. Etwa ein halbes Dutzend Betriebe sei vom plötzlichen Ende der Alternativbetrieb–Förderung hart getroffen worden. Es handelt sich dabei um Kollektive, die - wie etwa das Frankfurter Buchladen–Cafe Ypsilon - im Vertrauen auf die Förderung Vorinvestitionen getätigt hatten und nun mit leeren Händen dastehen. Ohne das Förderprogramm, so Bluem abschließend, würden sich auch die Neugründungen alternativer Betriebe auf ein Minimum reduzieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen