Raff–Tour für starke Nerven

■ Schnäppchen im Schlußverkauf in Essen / Auch die taz–lerin kleidet sich für 57 Mark neu ein / „Für den SSV wird eigens keine Ware mehr hergestellt“

Aus Essen Corinna Kawaters

Am regnerischen Dienstag stürze ich mich für die taz in den Sommerschlußverkauf in Essen, der „Einkaufsstadt“, wie die Eigenwerbung der Ruhrmetropole prahlt. Die breite Kettwiger Straße mit ihren zahlreichen Konsumpalästen ist gegen 11 Uhr noch ziemlich leer. So leer, daß ein Streichorchester unter der ausladenden Fassade eines Kaufhauses genug Platz für seine Klassiker findet, aber wenig Geld im Sammelteller. Die Leute, die heute unterwegs sind, sind sparsam, halten ihr Geld lieber für die Schlußverkaufsschnäppchen zurück. Auch bei „Peek & Cloppenburg“, einem „gehobeneren Textilhaus“, gibts noch kein Gedränge. Die „Markenherrenpullover“ für neun Mark sind sowieso schon am zweiten Tag ausverkauft und die Damengarderobe erscheint mir nicht so sensationell preiswert. Von 79 auf 39 Mark reduzierte, im übrigen scheußliche Röcke lassen mich völlig kalt. Gegenüber, bei „Jeans 2000“, besteht das Angebot wie bei den meisten Geschäften aus offenbar Unverkäuflichem: Sommerkleider, Shorts, Röcke zu Preisen zwischen zehn und 19 Mark bleiben im Regen stehen und Unmengen dieser merkwürdigen, bauchnabelfreien T–Shirts (neun Mark) warten auch auf Leute, die ihren Urlaub und den Sommer noch vor sich haben. Bei „C & A“ gibts dann das erste Getümmel - lange Schlangen vor den Kassen, der Kaufhausdetektiv und zwei Verkäufer zanken sich mit einem älteren Ehepaar. „Die kleine Nicole sucht ihre Mutti und ist in der Schuhabteilung abzuholen“, tönt es dann noch aus dem Lautsprecher. Ich kaufe eine schwarze Spitzenstrumpfhose für zwölf Mark und wühle mich zum Ausgang durch. Das Schuhgeschäft „Voswinkel“, gleich neben der Marienkirche ist mein nächstes Ziel. „Kartonweise Superpreise“, wirbt das Schuhhaus. Für mich haben sie ein paar lila Schnürstiefel zurechtgestellt, für sagenhafte zehn Mark, von 124 Mark reduziert. Auch Lederbekleidung darf in diesem Jahr erstmals im Schlußverkauf aus den Lagern geräumt werden. Doch so preiswert ist das Zeug immer noch nicht. Ein weißes Lederkleid, ein echtes Traumteil kostet in einer Boutique immer noch 199 DM und ist schon von 498 Mark runtergesetzt. Für die taz–lerin nur nach strengsten Sparmaßnahmen erschwinglich, muß ich es bedauernd wieder ausziehen. Ich tröste mich mit einem schwarzen Baumwollrock für neun Mark. Tüten über Tüten Inzwischen hat es angefangen zu regnen. Die Limbecker Straße, Essens zweite große Einkaufsstraße, ist erheblich voller geworden. Als ich mich über die wenigen Ausländer wundere, klärt mich eine Verkäuferin bei „Boecker“ auf: „Die haben ja schon am Montag früh hier vor der Tür gewartet.“ Heute scheint eher der Tag der Rentnerehepaare zu sein, wie sie beispielsweise bei „Sinn“ die billigen Handtücher (vier Mark) gleich dutzendweise kaufen. „Meine Güte, mußt du denn immer rummeckern?!“, stutzt hier eine kauffreudige alte Dame ihren unwilligen Ehemann zurecht. Dem sind wohl die vielen Tüten, die ertragen muß, lästig. Bei „Sinn“ kaufe ich ein rotes Unterhemd, das wohl schon in mehreren Schlußverkäufen angeboten worden ist: Von ursprünglich acht Mark hat die Firma den Preis über sieben und fünf auf schließlich vier Mark gesenkt. Dann gibts noch Slips für zwei Mark. Die scheinen mir aber nicht gerade 1a–Qualität zu sein. Oder soll ich dem „Karstadt“ Geschäftsführer Gerhard Wollermann glauben? Der hatte in der Lokalpresse verkündet:“ Der Schlußverkauf ist ein echter Räumungsverkauf geworden. Daß für den SSV Ware eigens hergestellt wurde, gehört schon lange der Vergangenheit an.“ Bei „Ruhr“, einem sonst gar nicht so billigen Textilhaus, entdecke ich dann noch den lila Pullover für 20 Mark (von 65), der genau zu meinen neuen lila Zehn– Marks–Schuhen paßt. Nach rund drei Stunden bin ich fertig eingekleidet und habe 57 Mark ausgegeben. Ich lege meine Beute–Strecke aus: Schuhe zehn Mark, Strumpfhose zwölf Mark, Unterwäsche vier, bzw zwei Mark, einen Rock für neun und den Pullover für 20 Mark. Doch Vorsicht - es ist eine Raff–Tour nur für starke Nerven.