Irans Vorgehen am Golf ist unberechenbar

■ Angriffsdrohungen gegen die arabischen Anrainerstaaten / Teheran ignoriert jetzt Präsenz der US–Kriegsschiffe / Aufrüstungsspirale

Aus Bahrain William Hart

Wären die Freitagspredigten der Mullahs auf dem Teheraner Universitätsgelände wörtlich zu nehmen, gäbe es heute rund um den Persischen Golf ein Inferno und Reagan wäre bereits mit Schimpf und Schande aus seinem Amtssitz vertrieben worden, den selbst Khomeini nur „Schwarzes Haus“ nennt. Doch keins von beiden ist eingetroffen. Im Gegenteil: Die Situation im Golf scheint sich zu beruhigen. Die US–Streitkräfte sind damit beschäftigt, sich im Irrgarten Golf weiter in den von „unsichtbaren Händen“ gespannten Stolperdrähten zu verfangen. Die iranische Führung hat den amerikanischen Kriegsschiffen eine Schonzeit verschafft: In offiziellen Erklärungen aus Teheran ist von Angriffen auf Schiffe nicht mehr die Rede. Statt dessen heißt es, künftig würden Industrie– und Ölanlagen der Verbündeten Iraks angegriffen, sollte der Gegner seine Bombardierungen wieder aufnehmen. Die Präsenz der US–Flotte wird schlicht ignoriert. Als Gegenleistung nimmt Washington das Treiben der Minenleger hin und schweigt zu iranischen Drohungen gegenüber Kuwait. Nur knapp eine Woche hat die Islamische Republik gebraucht, um sich auf die neue Situation einzustellen und den Rhythmus derEreignisfolge in der Region wieder zu bestimmen. Der iranische Parlamentspräsident Rafsanjani schwingt den Taktstock im Golfkonzert mit Vergnügen. Wenn Reagan sich nicht wohlverhält, werden die Revolutionswächter notfalls mit Minendetonationen demonstrieren, daß es auch anders geht. Die Führung der Islami schen Republik hat es meisterhaft verstanden, den US–Truppenaufmarsch zum eigenen Vorteil zu nutzen. Die Teheraner Angriffsdrohungen gegen kuwaitische Industrieanlagen wären ohne die Anwesenheit der US–Flotte nicht möglich gewesen. Die Aussagen des iranischen Staatspräsidenten Seyed Ali Khomeini, Raketen gegen das Scheichtum einzusetzen, wenn es sich nicht wohlverhalte, haben nicht nur einen weltweiten Proteststurm ausgelöst, sondern auch zur Ankündigung von US– Sanktionen für den Fall ihrer Realisierung geführt. Jetzt müssen sich die Herrschaften im Weißen Haus überlegen, ob sie bereit sind, eine territoriale Garantie für die Golfstaaten zu übernehmen. Danach drängt es sie offensichtlich nicht. Da die USA jedoch wegen ihrer Flottenpräsenz in den Golfgewässern verletzbar sind, stellen sie sich gegenüber diesen Drohungen taub. Auch die US–Bündnispartner übergehen sie mit Schweigen, da diese Verbalattacken ja direkt mit dem US–Auftreten im Golf zusammenhängen. Die USA hatten der Islamischen Republik mit ihren provokativen Ankündigungen über den Marineeinsatz im Golf, die sich über Monate erstreckten, eine Aufrüstung an der Golfküste geradezu aufgezwungen. Freiwilligenbataillone wurden auf den kleinen iranischen Golfinseln stationiert. Die vom iranischen Schah 1972 annektierten drei Inseln, großer und kleiner Tomb sowie Abu Musa, sind mittlerweile zu Festungen ausgebaut. Iran hat faktisch seit Beginn dieses Jahres den Golf in ein von ihm kontrolliertes Meer verwandelt. Die Minenexplosion, die das Loch in den Rumpf der Bridgeton riß und das US–Expeditionschor neutralisierte, erfolgte in der Nähe einer kleinen iranischen Insel. Diese massiven iranischen Aufrüstun gen hätten zu politischen Reaktionen auf der arabischen Golfseite geführt. Da sie aber parallel zum US–Flottenaufmarsch erfolgten, mußten sich die arabischen Anrainerstaaten bei Protesten zurückhalten, da diese von Teheran ja sofort als Beweis der Komplizenschft mit den USA erklärt worden wären. Die konservativen Herrscher am Golf fürchten die Agitation des arabischen Senders aus Teheran, vor allem diejenigen, die eine schiitische Minderheit zu ihrer Bevölkerung zählen. Die USA setzen unterdessen ihre Politik fort, Iran weitere Vorwände für die Aufrüstung am Golf zu liefern. Kuwait bat die USA um die Umflaggung der Tanker unter der Voraussetzung, daß die US– Streitkräfte während ihrer Geleitschutzmaßnahmen keine kuwaitischen Häfen oder Flughäfen nutzen. Dennoch erhöhen die USA Tag für Tag den Druck auf den kleinen Golfstaat, dies doch zu gestatten. Rafsanjani dürfte hochzufrieden sein. Nachdem die USA im vergangenen Jahr Iran mit den Waffenlieferungen aus ihrem Defizit gegenüber dem hoch gerüsteten Irak verholfen hatten, haben sie in diesem Jahr somit den militärischen Flankenschuz für die iranische Aufrüstung am Golf selbst geliefert. Es ist kaum vorstellbar, daß den USA diese entscheidende Nebenwirkung ihrer Kanonenbootpolitik im Golf nicht im voraus bewußt gewesen wäre. Man muß vielmehr davon ausgehen, daß die USA aus zwei Motiven diese Politik eingeschlagen hat. Zum einen soll die immer direktere neutralistische Politik der arabischen Golfstaaten angesichts der Rivalität der Supermächte wieder rückgängig gemacht werden. Zum anderen scheint die US– Regierung entgegen allen Erklärungen nach wie vor an einem stabilen und militärisch noch stärkeren Iran, der über eine lange gemeinsame Grenze mit der Sowjetunion verfügt, interessiert zu sein. Vor diesem Hintergrund erhält der Bonn–Besuch von Irans Außenminister Ali Akbar Velayati einen zusätzlichen Aspekt. Genschers Part war es, die sich im Gefolge der UN–Resolution anbahnende Isolierung Irans im Keim abzublocken und seine Führung davon abzuhalten, US– Schiffe tatsächlich anzugreifen. Nicht umsonst hat Teheran bereits wenige Stunden nach dem ersten Gespräch zwischen Genscher und Velayati die Drohungen gegen die US–Flotte in den Golfgewässern zurückgenommen. Der Deal ist ganz offensichtlich: Der Golf soll Iran zugeschlagen weren. Dabei gibt es jedoch einen kleinen Schönheitsfehler: Iran wird damit nicht zufrieden sein.