US–Latinos zwischen Amnestie und Abschiebung

■ Einwanderungsgesetz setzt illegal eingewanderte Lateinamerikaner unter Druck / Zwei „Klassen“ von Illegalen / El Salvadors Haushalt auf private Überweisungen der „Illegalen“ angewiesen / Repräsentantenhaus will Sonderrechte für Latinos aus El Salvador und Nicaragua

Aus Washington S. Schaaf

Salsa, laut und rhythmisch, tönte aus unzähligen Lautsprechern, und Salsa, die gleichnamige feurigscharfe Soße, tropfte von den Tortillas, den Tacos und den Fingern bei Washingtons größtem Straßenfest, dem „Hispanic Festival“ in Adams Morgan. Wem das Wetter mit seinen 37 Celsiusgraden noch nicht genug Schweiß auf die Stirn trieb, lud sich den Teller mit scharfgewürzten mexikanischen Leckereien voll oder tanzte vor einer der Bühnen mit ihren fetzigen Latino–Bands. Zum 17. Mal wurde es zum vergangenen Wochenende veranstaltet, und natürlich war es noch nie so groß wie in diesem Jahr. 300 Buden aus mehr als einem Dutzend lateinamerikanischer Länder, gut 200.000 Besucher und eine zweistündige Parade, in der, wie es sich für eine Latino–Kirmes gehört, der Kitsch neue Triumphe feierte. Doch die Zuschauer waren begeistert; endlich, für ein Wochenende, bestimmten sie den Ton im Latino–Viertel Washingtons. Sonst haben sie nicht viel zu sagen, denn die meisten von ihnen sind illegal hier, haben weder Aufenthalts– noch Arbeitserlaubnis. Eine Viertelmillion LateinamerikanerInnen lebt im Großraum Washington, viele davon Flüchtlinge vor Krieg, Verfolgung und Diktatur. Mehr als jemals zuvor befinden sie sich in diesen Wochen in Ungewißheit, ob sie in den USA bleiben können oder in ihre Länder zurückkehren müssen. Das neue Einwanderungsgesetz, dessen erste Bestimmungen im Mai in Kraft getreten sind, teilt die illegalen Einwanderer in zwei Klassen. Wer vor dem 1. Januar 1982 illegal in die USA gekommen ist, hat gute Chancen, eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten und später sogar eingebürgert zu werden. Wer danach über die Grenze geschlüpft ist, steht schlechter da als jemals zuvor. Früher gab es für die Einwanderungsbehörde so gut wie keine Möglichkeit, Illegale aufzuspüren und abzuschieben. In einem Land, das keine Meldepflicht und keine Personalausweise kennt, in dem Kinder aus Illegalen–Familien sogar gerichtlich den Anspruch auf eine Schulausbildung zugestanden bekommen haben, beschränkte sich die Macht der Illegalen–Jäger auf die Landesgrenzen. Doch ab September werden sich Arbeitgeber strafbar machen, wenn sie Personen ohne korrekte Papiere beschäftigen. Viele Restaurants, Hotels und Bauunternehmer, die sich am ehesten aus dem Reservoir billiger ausländischer Arbeitskräfte versorgt haben, sind in den letzten Monaten auf Nummer sicher gegangen und haben ihre Illegalen gefeuert. Notwendig wäre dies nicht gewesen: Strafen drohen nur dem, der nach dem Mai 1987 Illegale eingestellt hat. Profitiert haben von der Verwirrung um das Gesetz wohl nur Rechtsanwälte. Die Immigranten aus El Salvador stellen mit Abstand die größte hispanische Bevölkerungsgruppe Washingtons, ihre Zahl wird auf 150.000 geschätzt. Die meisten Salvadorianer und ihre Familien sind nach dem Amnestie–Stichtag in die USA gekommen, als sich die Repression in ihrer Heimat verschärfte. Die neuen Richtlinien für Arbeitgeber betreffen sie deswegen auch am stärksten. Selbst Präsident Duarte ist über die Entwicklung besorgt: in einem Brief an Präsident Reagan wies er vor drei Monaten auf die wirtschaftlichen Folgen für sein Land hin, falls die in den USA lebenden Salvadorianer kein Geld mehr nachhause schicken könnten. Die Zahlungsbilanz des kleinen zentralamerikanischen Landes geriete erheblich in die Schräglage, wenn die auf fast eine halbe Milliarde Dollar geschätzten Überweisungen ausblieben. Doch die negative Antwort aus dem Weißen Haus zeigt an, daß Duarte eher Militärhilfe aus der Staatskasse als zivile Zahlungen aus salvadorianischen Lohntüten bekommen kann. Duarte hat jedoch Hilfe vom liberalen Flügel des Kongresses bekommen. Am Dienstag stimmte das Repräsentantenhaus mit 237 zu 176 Stimmen einem Gesetzentwurf des demokratischen Abgeordneten Joseph Moakley (Massachusetts) zu, der den Aufenthalt von Salvadorianern und Nicaraguanern für etwa zwei Jahre sichern würde. Bis dahin soll das General Acounting Office (GAO) einen Vergleich der Menschenrechtssituation in Nicaragua und El Salvador erstellen und die Asylpraxis der Reagan–Administration gegenüber diesen Ländern bewerten. In bezug auf Nicaragua hat sie sich in den letzten Monaten drastisch verändert; wesentlich mehr Asylanträge sind anerkannt worden. Vor wenigen Wochen kündigte Justizminister Meese Vorzugsbehandlung für nicaraguanische Flüchtlinge an. Mitarbeiter Joseph Moakleys vermuten, daß Meese mit diesem ebenso einseitigen wie eiligen Schritt dessen Gesetzentwurf sabotieren wollte. Nach ihrem Erfolg im Repräsentantenhaus hoffen sie auf ein baldiges und positives Votum des Senats. Für politisch aktive SalvadorianerInnen zieht am Horizont noch eine andere Gefahr herauf. Zwei Fälle in Kalifornien lassen vermuten, daß die salvadorianischen Todesschwadrone nun auch in den USA tätig werden. So wurde am 7. Juli in Los Angeles eine salvadorianische Aktivistin von drei Männern entführt, vergewaltigt und mit dem Tod bedroht, falls sie ihre politischen Aktivitäten nicht einstelle. Einige Tage später erhielt ein katholischer Pfarrer eine Todesdrohung, gleiches widerfuhr dem Koordinator der Solidaritätsorganisation CISPES. Unterzeichnet waren die Drohbriefe mit „EM“, dem spanischen Kürzel für die Todesschwadrone.