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Urteil mit eingebautem Bumerang

■ Landgericht München bestätigt Freispruch für Mithilfe beim Verteilen von Blockade–Flugblättern / Aber die Praxis des Richters: Urteil nicht wasserdicht zu machen, damit bei Revison Rechtsfehler gefunden werden

Aus München Luitgard Koch

Überraschend sprach gestern das Landgericht München die 47jährige Altenpflegerin Ingrid K. vom Vorwurf der Aufforderung zur Nötigung frei. Sie hatte Flugblätter mit dem Aufruf zur Blockade von Raketenlagern verteilt. Der Freispruch, der eine entsprechende Entscheidung des Amtsgerichts bestätigt, hat jedoch seine Haken. Der Vorsitzende Richter der 13. Kammer des Landgerichts, Bernd Bremer, ist als Hardliner bekannt. In einem früheren Fall, als er durch die Voten seiner beisitzenden Schöffen zu einem Freispruch gezwungen wurde, war in seiner Urteilsbegründung ein offen richterlicher Rechtsfehler enthalten, der zwangsläufig zur Aufhebung des Urteils durch das Oberlandesgericht führte. Anzeichen für einen ähnlich gelagerten Entscheidungsprozeß gibt es auch diesmal. Frau K. war im September vorigen Jahres auf dem Münchner Marienplatz von der Polizei festgenommen worden, weil sich in ihrer Einkaufstasche 67 Flugblätter mit einem Blockadeaufruf befanden. Bei einer Hausdurchsuchung ohne richterlichen Befehl wurde auch auf ihrem Küchentisch ein Flugblatt gefunden. Die Münchener Amtsrichterin Bergmaier–Oppitz konnte in der „Mithilfe bei der Friedensarbeit“ nichts „Verwerfliches“ finden und sprach die Angeklagte im März dieses Jahres frei. Gleichzeitig wies sie jedoch darauf hin, daß die nächste Instanz, nämlich Richter Bremer, Frau K. verurteilen werde. Sie erinnert sich wohl auch an das Verfahren gegen den Yogalehrer Herbert W. - das Amtsgericht hatte ihn vom Vorwurf der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten freigesprochen -, in dem Richter Bremer jedoch einen Freispruch ausfertigen mußte, weil er von beiden Schöffen überstimmt worden war. Seine schriftliche Urteilsbegründung damals enthielt keine ausreichende Verwerflichkeitsprüfung. Aufgrund dieses Rechtsfehlers wurde das Urteil vor einigen Wochen vom OLG an das Landgericht zurückverwiesen. Prozeßbeobachter vermuten, daß ähnliches auch im Verfahren gegen Ingrid K. ablaufen könnte. In seiner mündlichen Urteilsbegründung sprach Bremer vom Straftatbestand einer erfolglosen öffentlichen Aufforderung zu Straftaten, da die Kammer nicht nachweisen könne, ob dem Blockadeaufruf tatsächlich jemand gefolgt sei. Zur Frage der „Verwerflichkeit“, die ja nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtsvom November 86 im Einzelfall zu prüfen ist, stellte er fest, die Kammer habe sich kein Bild machen können, ob der Aufruf verwerflich war. Gleichzeitig betonte er, daß der Tatbestand der Nötigung nach §240 insofern gegeben sei, als durch die Blockaden psychisch wirkende Gewalt angewandt werde und es sich dabei auch nicht um symbolische Beeinträchtigung handle. Seine Definition einer symbolischen Handlung: Die Blockierer setzen sich neben die Einfahrt des Militärdepots und teilen den Soldaten auf Transparenten mit, daß sich die Kaserne als blockiert betrachten soll. Für die Verwerflichkeit spricht seiner Ansicht nach auch, daß die Demonstranten so lange blockieren bis die Polizei eingreift. Insgesamt hörte sich seine Urteilsverkündung eher wie die Begründung für eine Verurteilung an. Völlig unbeeindruckt ließ den Richter die Tatsache der unterschiedlichen Rechtsauffassung zur Frage von Blockaden.

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