Abwälzprogramm

■ Jaruzelski kündigt radikale Wirtschaftsreform an

Jaruzelski nutzt mit seinen jüngsten Plänen für eine umfassende Wirtschaftsreform die Gunst der Stunde: Durch die parallel eingeleiteten Reformen in der UdSSR sind ihm Handlungsspielräume zugewachsen. Das „schmerzvolle und zugleich dringend notwendige Programm“ (Jaruzelski) ist aber nur mit der Zustimmung des größten Teils der Gesellschaft durchsetzbar. Da durch die Reformen Subventionen abgebaut, unrentable Betriebe geschlossen und soziale Absicherungen eingeschränkt werden sollen, werden die Lasten auf die Arbeiterklasse, die Rentner, die Studenten abgewälzt. Indem Jaruzelski den Weg einer Volksabstimmung gehen will, zeigt er an, daß er die Aussichten auf eine Zwei–Drittel–Gesellschaft sozialistischer Provenienz an der Opposition vorbei lancieren möchte. Dieser Wagemut deutet zugleich auf die Schwäche der Opposition. Die Spitzen von Solidarnosc und der Intelligenz haben die Forderung nach einer Wirtschaftsreform immer nur mit der Forderung nach politischen Reformen verbunden. Daß die „sozialen Kosten“ dieser Art von Wirtschaftsreform gerade die Arbeiterklasse treffen muß, wurde in den Analysen nur am Rande einbezogen. Diese Auseinandersetzung mit den sozialen Lasten der Wirtschaftsreform steht bei der Opposition dringend an. Nur wenn es ihr gelingt, sich in einer solchen sozialpolitischen Debatte durch konkrete Forderungen zu profilieren, kann sie auch ihren Demokratisierungsforderungen Gewicht verleihen. Erich Rathfelder