Hungener wollen Molke loswerden

■ Widerstand gegen Verarbeitung der verstrahlten Molke formiert sich / Bürger fühlen sich als Versuchskaninchen für die Atomindustrie

Aus Frankfurt Heide Platen

Die Hungener Stadthalle war überfüllt. Donnerstag abend: Rund 800 Bürgerinnen und Bürger waren einer Einladung zur Bürgerversammlung gefolgt. Seit Tagen ist das 12.000 Einwohner zählende Städtchen in Mittelhessen in heller Aufregung. 5.000 Tonnen verstrahlter Molke sollen in den örtlichen Milchbetrieben der Firma Moha dekontaminiert werden. Prof. Roiner, der das Verfahren entwickelte, stellte sich zusammen mit Vertretern des Bundesumweltministeriums, des hessischen Sozialministeriums und der Milchwirtschaft den Bürgerfragen. Aufsehen erregte ein Zitat aus einem Brief, den Staatssektretär Stroetmann vom Bundesumweltministerium am 21. Juli an die Moha geschrieben hatte: „(...) Darüber hinaus beweist die Anwendung dieses Verfahrens, daß die Milchwirtschaft bei Ereignissen mit weiträumiger Freisetzung radioaktiver Stoffe in der Lage ist, die Bevölkerung mit Milchprodukten zu versorgen.“ Viele Hungener fühlten sich aufgrund solch strategischer Überlegungen als Versuchskaninchen für den nächsten Super–GAU. Sie wiesen außerdem darauf hin, daß Hungen in einem Wasserschutzgebiet liege und daß die Fabrik weder gegen Brände noch gegen Staubexplosionen geschützt sei. Und überhaupt sei die Verarbeitung der Becquerel–Molke weder durch das Atomrecht noch durch das Strahlenschutzgesetz gerechtfertigt. Die Frage, ob die Entstrahlung der Molke als bundesdeutsches „Know–how“ anderen Ländern angeboten werden soll, blieb unbeantwortet. Ein Vorschlag, das Molke–Pulver alternativ 60 Jahre auf einem abgesperrten Truppenübungsplatz zu lagern, erhielt viel Beifall. Bürgermeister Schmied hatte schon in der vergangenen Woche angedeutet, er rechne in Hungen mit einem parteiübergreifenden Widerstand. Er sagte in der Stadthalle, er habe nach dieser Veranstaltung den Eindruck gewonnen, daß die rechtliche Ausgangsbasis der Gemeinde besser sei als angenommen.