Hungerstreik in den Knästen der Türkei

■ Über 500 Häftlinge stehen im Hungerstreik / Sitzstreik vor dem Justizministerium in Ankara / Proteste gegen Psycho–Repression und schlechte Versorgung

Von Antje Bauer

Berlin (taz) - Etwa 50 Angehörige politischer Gefangener in der Türkei haben am Freitag vor dem Justizministerium in Ankara einen Sitzstreik begonnen. Zur Unterstützung des Protests fanden sich einige sozialdemokratische Politiker sowie eine Reihe fortschrittlicher Intellektueller dort ein. Die Polizei griff zunächst nicht ein. Durch die in der Türkei ungewöhnlich mutige Aktion sollten über 500 politische Gefangene unterstützt werden, die seit Wochen in verschiedenen Gefängnissen des Landes im Hungerstrik stehen. Begonnen hatte der kollektive Hungerstreik am 9. Juli im Gefängnis Sagmalcilar in Istanbul, am 13. Juli hatten sich mehrere hundert Gefangene im Knast von Malatya aus Solidarität angeschlossen. Am 21.Juli begannen weitere 400 Gefangene des Istanbuler Militärgefängnisses Metris ein dreitägiges Hungern, und in den letzten Tagen nahmen Häftlimge in den Städten Bursa, Eskisehir, Gaziantep und Canakkale ebenfalls den Hungerstreik auf. Der Streik in Malatya soll Radiomeldungen zufolge mittlerweile beendet sein, nachdem dort sowie in Istanbul eine Reihe Gefangener wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes ins Krankenhaus eingeliefert werden mußten. Die Gefangenen protestieren gegen den Zwang zur Anstaltskleidung, gegen die Pressezensur, gegen die eingeschränkte Besuchserlaubnis, das schlechte und unzureichende Essen sowie gegen die mangelnde ärztliche Versorgung. Der türkische Lehrer Sakir Bilgin, der von 1983 bis 1986 in der Türkei im Knast gesessen hat und jetzt in der Bundesrepublik lebt, sagte dazu der taz, nach dem Militärputsch 1980 habe man in der Türkei versucht, den Gefangenen durch Folter und Repression ihre Persönlichkeit zu nehmen. Sie seien nicht wie politische Gefangene, sondern wie Soldaten behandelt worden. Politische Gefangene würden gezwungen, die Nationalhymne zu singen und Sprüche des Staatsgründers Atatürk auswendig zu lernen. In den anatolischen Knästen habe es in den letzten Jahren kaum Verbesserungen gegeben. Dort sei noch immer physische Unterdrückung an der Tagesordnung. In den Gefängnissen in Istanbul sei der physische Druck durch psychischen ersetzt worden. So sei es manchen Gefangenen monate–, ja jahrelang verboten, Besuche zu empfangen oder Briefe zu erhalten, in 25–qm–Zellen seien häufig mehr als 18 Gefangene eingepfercht, Anwaltsgespräche seien nur im Beisein von zwei oder drei Polizisten möglich. Darüberhinaus befinde sich ein Großteil der Gefangenen sieben Jahre nach dem Putsch noch immer in U–Haft. Fortsetzung auf Seite 6 Der türkische „Menschenrechtsverein“ hat eine „Kommission zur Untersuchung der Folter– und Gefängnispraktiken“ gebildet. Im Abschlußbericht dieser Kommission heißt es der türkischen Wochenzeitung Yeni Gündem zufolge: „Die Anzahl der Toiletten in den Gefängnissen ist beschränkt, die „Besuchszeiten“ dort sind festgelegt. Es kommt vor, daß manche Gefangene nur alle drei Tage einmal zur Toilette gehen können. Manchen Inhaftierten ist es nur zweimal im Jahr vergönnt gewesen, sich zu waschen, und vielfach werden die Gefangenen im Winter mit kaltem Wasser unter Druck abgespritzt.“ Die Angehörigen der Gefangenen waren Anfang dieser Woche nach mehreren vergeblichen Versuchen vom türkischen Justizminister Oltan Sungurlu empfangen worden. Dieser hatte die Forderungen der Gefangenen jedoch mit den Worten abgewiesen:“ Sie können sterben, was haben wir damit zu tun. Ich töte sie doch nicht.“ Aus Solidarität mit den Gefangenen in der Türkei wird zur Zeit in verschiedenen bundesdeutschen Städten ebenfalls ein Hungerstreik durchgeführt. Am Donnerstag war die Bundesgeschäftsstelle der Grünen in Bonn kurzzeitig von Angehörigen des „Solidaritätskomitees für den Hungerstreik“ besetzt worden.