Beten statt Sex

■ „Lebensschützer“ versorgen die Redaktionen von Frauenzeitschriften mit Informationsmaterial

Jetzt wissen wir es ganz genau. Unsere Schulen taugen nichts. Sie sind schuld an der „sittlichen Verwahrlosung unserer Kinder“. Die „stimulierende Sexualerziehung“ wecke die „sinnliche Neugier“ und huldige einem „Wissensfetischismus“, „als sollten Elfjährige zu Gynäkologen ausgebildet werden“. Mit derlei Parolen wirbt der „Freundeskreis Maria Goretti e.V.“ für seine Ziele und fordert in einem Flugblatt eine „Erziehung zu Schamhaftigkeit und Keuschheit“. Dieser Verein ist in München ansässig, aber er trachtet nach Expansion. Den Beschäftigten der Frauenzeitschrift Für Sie flatterte kürzlich ein Brief per Hauspost auf den Schreibtisch. Per Hand an jede einzelne Mitarbeiterin adressiert, versprach das Schreiben Persönliches. Umso größer war die Überraschung beim Öffnen des Kuverts. Zwei Flugblätter kamen da zum Vorschein: eins von der „Aktion Leben e.V.“, das mit der Abbildung von zerstückelten Embryos für das Leben „unzähliger, ungeborener Kinder“ wirbt, und eben das des Freundeskreises der Maria Goretti. Nicht nur für ein Nein zur Abtreibung sollten die Redaktionsfrauen gewonnen werden, sondern auch für ein „Nein zur moralischen Zersetzung unseres Volkes“. So steht es geschrieben, schwarz auf rosa Papier, und könnte einer Broschüre der Hitlerzeit entnommen sein. Mit derlei Überraschungsangriffen sind die Mitarbeiterinnen der Zeitschrift Für Sie nicht zum ersten Mal konfrontiert, und andere Redaktionen berichten von ähnlichen Briefen. Diese „Bürgerwehren“ schießen wie Pilze aus dem Boden, gegen sie scheint kein Kraut gewachsen. Im Gegenteil. Das derzeitige Klima bekommt ihnen gut. Wo die AIDS–Angst grassiert und viele verunsichert sind, haben Moralisten Hochkonjunktur. Sie müssen sich weder über Empfängnisverhütung noch über Safer–Sex den Kopf zerbrechen. Und wen dennoch die Lust überkommt, dem sei die Waffe der Maria Goretti „zur Hand“ gegeben: „die Waffe des Gebetes“. Heide Soltau