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Alpenglühn und Schoko–Kühe zum Bundesfeiertag

■ Beim Nationalfeiertag der Eidgenossen wird die Vergangenheit beschworen / Das historische Phantom Wilhelm Tell im Zentrum der Schweizer Feierlichkeiten / Asylbewerber und andere Fremdlinge nach Drohungen ausgeladen

Aus Altdorf Thomas Scheuer

Anfangs der siebziger Jahre, im 68er Heckwasser, haben progressive Schriftsteller wie Peter Bichsel oder Max Frisch mal eine Selbstverständnisdebatte der Schweiz entfacht und den Neutralitätsmythos, diesen Kult des Sich– nicht–einmischen entschleiert. Derzeit aber, so der Schweizer Journalist Willy Bär, sei Nationalbewußtsein kein Thema. Für die Touristik–Werbung genügen schließlich die Klischees von Alpenglühn und Schoko–Kühen. Was wird in der Schweiz alljährlich am 1. August eigentlich gefeiert, dem Nationalfeiertag des Landes, auch Bundesfeiertag genannt? Vergangenes in erster Linie. Am 1. August 1291 schworen sich diverse Sippen–Leader aus den Talschaften um den Vierwaldstätter See herum auf der Rütli– Wiese „einander beizustehen mit Rat und Tat, mit Leib und Gut, mit gesamter Macht und Kraft, wider alle und jene, die uns Gewalt und Unrecht tun“. Der Schutz– und Trutz–Bund richtete sich vornehmlich gegen das Joch der Habsburger, die Schiller in Gestalt des tyrannischen Landvogtes Geßler auf die Bühne, bzw. in jene berühmte hohle Gasse schickte. Das trutzige Bergvolk stellte als Widerpart den Meister aller Klassen im Armbrustschießen, Wilhelm Tell. „Ein einig Volk von Brüdern“ sein zu wollen, gelobten sich laut Schiller seinerzeit die Landleute aus den Ur–Kantonen Uri, Schwyz und Unterwalden. Von den Schwestern war beim Gebärakt der Alpenrepublik vorerst keine Rede. Die erhielten in der Eidgenossenschaft erst 1971 das allgemeine Wahlrecht. Wer die schweizerische Vorliebe für Militärparaden, hier Defilees genannt, kennt, wundert sich, daß ausgerechnet der Bundesfeiertag ohne jedes militärische Brimborium über die Bühne geht. Den meisten dient er heutzutage als willkommener Anlaß für ein ganz stinknormales Volksfest. Schon Tage zuvor bieten Straßenstände und Geschäfte allerorten Lampions, natürlich rot mit weißem Kreuz, Fähnchen und jede Menge Feuerzauber an. In vielen Dörfern und Stadtquartieren lo dern traditionelle Höhenfeuer, mit denen sich die Urahnen damals von Berg zu Berg die neuesten Infos signalisierten. Höhepunkt ist meist ein Feuerwerk. „Es isch halt schön für d Chind, wenn s chlöpft“, umschreibt eine Mutter den Reiz der Tradition. Als besonders traditionsträchtig gelten die Bundesfeiern in Altdorf Ur–Kantons im Uri und historische Heimat des Wilhelm Tell sowie auf der nahegelegenen Rütli–Wiese am Vierwaldstätter See. In Altdorf ist das Ortszentrum seit frühmorgens mit Freßbuden und Attraktionen bestückt. Vor dem ehrwürdigen Tell–Denkmal ist das Stimmungs–Duo „Casablanca“ in Stellung gegangen; die Fahnenschwinger– und Alphornvereinigung Uri gibt ihr stark beklatschtes Bestes; neben Wettfischen, Pfeilwerfen und Heißluftballonflügen lockt das Armbrustschießen viel Volk an. Doch geballert werden darf keineswegs auf minderjährige Knaben, sondern nur auf die Apfelschuß–Scheibe, „Distanz drei Meter, Ziel fünf Äpfel a zehn Punkte“. Wie die Gemeindeverwaltung erbeten hatte, sind „alle Häuser zu Ehren des schweizerischen Nationalfeiertages beflaggt“. Auf Plakaten wird der Schweizerpsalm unters Volk gebracht. Textprobe: „Wenn der Alpenfirn sich rötet, betet, freie Schweizer, betet!“ Die Bundesfeier steigt abends um neun auf dem etwas vom Schuß gelegenen Vorplatz der Turnhalle. Vor den nicht gerade zahlreich erschienen Zuhörern läßt sich der Gemeindepräsident obligatorisch über Tradition, Gemeinsinn, Freiheit und ähnliche politische Gebrauchsartikel aus. So eine Bundesfeier sei ja „schon okay“, sie selbst „eigentlich schon sehr traditionsverbunden“, allerdings hätte sie es gerne etwas „moderner, damit auch die Jugend mehr angesprochen wird“, erklärt mir Esther Micheroli. Sie ist Präsidentin der Frauenzentrale im benachbarten Glarus. Dort war sie letzte Woche verantwortlich für die private Unterbringung einer 60köpfigen Wandergruppe: Schweizer und Flüchtlinge, Einheimische und Asylbewerber sollten, so die Zentralstelle für Flüchtlingshilfe, ein Stück gemeinsamen Weges gehen. Und diese Wanderung hätte eigentlich auf der Bundesfeier in Altdorf enden sollen. Der Gemeinderat gab sein Plazet - und zog die Einladung wieder zurück. Anonyme Schmähbriefe und telefonische Drohungen waren eingegangen; die Verwaltung will Hinweise auf anreisende Skinheads und Rechtsextremisten erhalten haben. Aus Angst vor einer feiertäglichen Schlägerei wurden die Flüchtlinge wieder ausgeladen. Frau Micheroli findet es schade, daß man vor den „Befürchtungen, daß die Drohungen auch in die Tat umgesetzt würden“, nachgegeben hat. Bei dem Gedanken an eine Bundesfeier unter Polizeischutz war allerdings auch ihr nicht wohl. Ich frage mehrere Teilnehmer nach ihrer Ansicht: Ein älterer Mann, den ein rotes Klämmerchen mit weißem Kreuz am Revers als bewußten 1. August–Teilnehmer ausweist, stammelt zunächst etwas von „Heimat“ und „Vaterland“, meint dann: „Das wäre schon schön gewesen, wenn die gekommen wären“. Auch die befragten Jugendlichen hätten nichts gegen den Besuch der Flüchtlinge gehabt. Ob es tatsächlich zum Stunk gekommen wäre, bleibt letztlich ebenso im Dunkeln wie jene anonymen Säcke, die telefonisch forderten, während des Flüchtlings–Besuches das Tell–Denkmal zu entfernen oder Krach androhten, wenn ihnen „die Asylanten die Tische wegnehmen.“

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