Ein Schwarzer Freitag für Mekka

■ Panik und Unruhen nach iranischer Demonstration fordern 402 Todesopfer / Racheakte in Teheran

Am heiligsten Ort des Islam, an der Kaaba in Mekka, war am Freitag der Teufel los. Zwei Millionen Gläubige versammelten sich zur traditionellen Wallfahrt, unter ihnen 150.000 aus Iran. Tausende von ihnen widersetzten sich einem Verbot und demonstrierten für Khomeini. Der Einsatz der saudischen Polizei löste Panik unter den Gläubigen aus, Hunderte wurden verletzt, viele einfach totgetrampelt. Aus Rache wurden in Teheran die Botschaften von Saudi–Arabien und von Kuwait gestürmt und verwüstet. Geheie Kontakte zwischen Iran und Saudi–Arabien, mit dem Ziel, den Frieden in der Golfregion herzustellen, dürften damit gescheitert sein.

„Wer sich verpflichtet, diese Wallfahrt zu vollziehen, der hat sich aller anstößigen Bemerkungen, aller Ausschweifungen und aller Wortgefechte zu enthalten“, heißt es im Koran über die Pilgerfahrt nach Mekka. Die Sorgen des täglichen Lebens, soziale Konflikte und politische Kontroversen sollen hinter dem Gemeinschaftserlebnis der Gläubigen zurückstehen. Die Bilder, die das saudische Fernsehen am Samstag ausstrahlte, vermittelten den gegenteiligen Eindruck. Die Aufnahmen vom Freitag, die in der Nähe der großen Moschee von Mekka entstanden, zeigten Zehntausende von demonstrierenden Iranern. Sie schwenkten Portraits von Ayatollah Khomeini und seinem designierten Nachfolger, Ayatollah Monatzeri, verbrannten Reagan–Puppen und riefen: „Gott ist mit uns, Imam Khomeini“ und „Allah Akhbar“ (Gott ist groß). Zu ersten Zusammenstößen kam es, als die Pilger mit Stöcken und Steinen auf die Absperrungen der in Kampfanzügen bereitstehenden saudischen Polizei vorgingen. Die Polizisten wichen zurück, während die Demonstranten versuchten, Motorräder, Autos und Gebäude in Brand zu stecken. Ein Nachrichtensprecher sagte zu den Bildern, die Sicherheitskräfte hätten Tränengas eingesetzt, als Demonstranten sie mit Messern angriffen. Er betonte, daß „weder die Ordnungskräfte noch die saudischen Bürger während der Zwi schenfälle Gebrauch von Feuerwaffen gemacht haben“, wie dies in Teheran behauptet worden war. Dort hatte es geheißen, die Pilger seien ums Leben gekommen, als die saudische Polizei das Feuer auf die Iraner eröffneten. Wie es zu der hohen Zahl von Toten kam, ging aus den Fernsehaufnahmen nicht hervor. Vermutlich kam es zu einer Panik, in deren Verlauf zahlreiche Menschen totgetrampelt wurden. Einer offiziellen Bilanz zufolge befinden sich unter den 402 Opfern 275 Iraner, 42 Pilger anderer Nationalität und 85 Sicherheitsbeamte. Unter den 649 Verletzten sind danach 303 Iraner, 201 andere Pilger und 145 Polizisten. Zimperlich sind die saudischen Polizisten anscheinend nicht gerade vorgegegangen. Nach Angaben von Ärzten litten die meisten Verletzten, die in Krankenhäuser eingeliefert wurden, an Verbrennungen und den Folgen von Stromschlägen aus den elektrischen Schlagstöcken der Polizei. Die Verbrennungen rührten vom Wasser aus den eingesetzen Wasserwerfern, das sich in der glühenden Sonne sehr stark aufgehitzt habe. Ambulanzen und Notärzte aus Mekka und Umbegung waren in vollem Einsatz. Mitglieder des für die Pilger eingerichteten arabischen Sanitätsdienstes berichteten, daß es in der Nähe der Unterkünfte iranischer Pilger zu Zusammenstößen gekommen sei. „Die saudische Regierung hat alle Mittel ausgeschöpft, um mit dem Iran auf direktem Wege und unter Einschaltung von Vermittlern zu kooperieren“, erklärte der saudische Informationsminister am Samstag. „Wir haben lange Zeit die Augen vor den Vorstößen gegen die Gesetzte unseres Landes verschlossen. Dies geschah nicht aus Schwäche, sondern aus Sorge um die Sicherheit der zwei Millionen Pilger“, fügte der Minister hinzu. Die Auswertung von Filmmaterial habe ergeben, daß die Zusammenstöße von den Iranern provoziert worden seien. In Teheran folgte die Reaktion auf die Ereignisse in Mekka postwendend. Kurz nach Bekanntwerden der Vorfälle stürmten und verwüsteten Demonstranten die Botschaften Saudi–Aarabiens und Kuwaits. Die Diplomaten hatten sich rechtzeitig in Sicherheit gebracht - offenbar mit Ausnahme von vier saudischen Beamten. Das Außenministerium in Riad sprach in diesem Zusammenhang von einer „Entführung“. Die französische und irakische Botschaft wurden mit Steinen beworfen. Radio Teheran rief am Samstag dazu auf, den „grausamen Angriff, den das liebedienerische saudische Regime für das weltfressende Amerika ausführte“, mit einem „nachhaltigen Schlag“ zu beantworten. Das iranische Außenministerium sprach sich dafür aus, Saudi–Arabien die Kontrolle über die heiligen Städte Mekka und Medina zu entziehen. Einen anderen Vorstoß unternahm Irans Kriegsgegener Irak: In einer Sendung von Radio Bagdad hieß es. „Von jetzt ab sollten keine iranischen Pilger mehr zu den heiligen Stätten zugelassen werden“ - ein Novum in der Geschichte des Islam. Der irakische Revolutionsrat sprach sich für eine Ausweisung der iranischen Pilger aus Mekka aus. Nach Angaben von Einwohnern von Mekka trieben Polizisten am Samstag Hunderte von iranischen Pilgern zusammen, die verdächtigt werden, die Demonstration vom Vortag angestiftet zu haben. An stategisch wichtigen Punkten zogen Polizeiposten auf, um erneute Demonstrationen zu verhindern. bs