Lok–Schildkröte

■ Alte Kriegsgüterlok bei der Mythos–Berlin–Ausstellung aufs Kreuz gelegt / Eisenbahnerfreunde sind sauer

Es war ein Abend der Kranführer. Die Umdrehung einer Kriegsgüterlokomotive, Baujahr 1944, Baureihe 52, am Samstag auf dem Gelände der „Mythos–Berlin–Ausstellung“ am Anhalter Bahnhof. Millimetergenau wurde die Lok auf den Rücken gelegt und an einbetonierten Stahlträgern aufgehängt. Die Aktion war Teil der Ereignis–Skulptur „Die Schildkröte/La Tortuga“, die Wolf Vostell für die Ausstellung entworfen hatte. Bei Sturm, letzten Sonnenstrahlen und Regenbogen war die Lok - leider ohne Tender - binnen einer halben Stunde aufs Kreuz gelegt. Zum Augen– und Ohren–Spektakel wurde das Ereignis durch Ausschnitte von A. Honneggers sinfonischer Dichtung „Pacific 231“, die - fauler Kompromiß - vom Tonband eingespielt wurde. Lediglich zwei an unterschiedlichen Orten des Platzes aufgebaute Rumpforchester verstärkten einzelne Sequenzen und erzeugten um den Platz laufende Klangwellen. Nach seiner umstrittenen Cadillac–Skulptur am Kudamm gabs im Vorfeld der Tortuga–Aktion wieder heftige Proteste. Diesmal waren es die Eisenbahnsammler, die das Objekt ihrer Begierden mißbraucht sahen. Ab Mitte August wird Vostell mit seinen Installationen an der Lok fertig sein, dann soll von ca. 20 verschiedenen Tonbändern, im Kessel der Lok versteckt, Kriegs– und Liebesgeflüster ertönen, die Begeher der Plastik durch Ohr–Anlegen wahrnehmen können. mtm