„Eindeutiges Signal setzen“

■ Walter Schreiber, Lateinamerika–Experte der CDU/CSU–Fraktion und zuständiges Bundesvorstandsmitglied der Sozialausschüsse für Menschenrechtsfragen über seinen Besuch in Chile

taz: Herr Schreiber, Sie haben Herrn Blüm bei seinem Besuch in Chile begleitet. Wie waren Ihre Eindrücke? Schreiber: Wir haben eine ganze Reihe von Gesprächen geführt, mit Regierungsvertretern, mit Vertretern der demokratischen Parteien und Menschenrechtsorganisationen. Ich war insbesondere am Gespräch mit den Angehörigen der Inhaftierten beteiligt. Mein Eindruck danach ist, daß in Chile gefoltert wird, daß seit Jahren eine Atmosphäre der Angst herrscht, daß Geständnisse unter Folter zustande kommen. Wie lauteten die Vorwürfe der Angehörigen? Sie haben im wesentlichen geschildert, wie sie selbst der Folter unterworfen worden sind. Man hat Geständnisse von ihnen erpressen wollen, die auf die Schuld der Angeklagten hinweisen sollten. Sie haben erschütternde Aussagen gemacht. Eine Frau, die zum Zeitpunkt ihrer Vernehmung schwanger war, wurde mit ver bundenen Augen ins Gefängnis verbracht und mit ihrem Mann konfrontiert. Ihr wurde gesagt, wenn du nicht endlich das unterschreibst, was wir dir vorgelegt haben, dann wird es dein Kind nicht überleben. Daraufhin wurde ihr Mann in einen Nebenzimmer verbracht und sie hörte, wie sie sich ausdrückte, seine unmenschlichen Schreie. Auch andere berichteten, daß sie unter Androhung von Erschießungen und Hinrichtungen erpreßt worden sind, Geständnisse zu unterschreiben. Das muß eine Atmosphäre des Grauens und der Pression sein. Es wird mit Schlägen und Scheinerschießungen gearbeitet. Auf welche Resonanz ist Ihr Besuch in Chile gestoßen? Das Echo war gewaltig. Man muß allerdings sagen, daß die Berichterstattung dort zu 99 Prozent regierungsfreundlich ist. Der Opposition steht eine einzige Tageszeitung nahe, und es gibt nur einen Rundfunksender. Die Oppositionsparteien haben nicht die Möglichkeit, im Fernsehen aufzutreten, und die regierungsfreundliche Presse berichtet selbstverständlich tendenziös. Wie haben Junta–Mitglieder reagiert? Bei dem Gespräch Blüms mit Pinochet war ich nicht dabei. Ich selbst habe mit dem Luftwaffengeneral Matthei gesprochen. Offiziell hat er die Menschenrechtsverletzungen natürlich nicht zugegeben. Man spricht lediglich davon, daß gemeldete Fälle streng untersucht werden. Matthei gehört zu denen in der Junta, die eine vorsichtige Öffnung zur Demokratie wollen. Er will sich einer erneuten Kandidatur Pinochets 1988 jedenfalls widersetzen. In der Bundesrepublik wurde Geißler und Blüm vorgeworfen, sie mißbrauchten eine Menschenrechtskampagne zur Profilierung der CDU? Ich muß diese Spekulationen zurückweisen. Die CDU hat in den letzten Jahren immer wieder auf die Menschenrechtsverletzungen in aller Welt hingewiesen, ob in Rechts– oder in Linksdiktaturen. Überall, wo Menschenrechtsver letzungen auftreten, müssen Demokraten dies anprangern. Ich habe meine Auffassungen in Nicaragua vertreten wie auch in Chile. Aber die CSU reagiert sehr unwirsch? Es ist Sache der CSU, sich zu informieren und klare Aussagen zu machen. Schon in den Programmen der Parteien wird jeweils die Einhaltung der Menschenrechte gefordert. Was muß jetzt passieren? Die Ausschußsitzungen am Freitag sind meines Erachtens eher ein Versuch der SPD, der Entwicklung nicht hinterherzuhinken. Die entscheidende Sitzung wird die des Bundeskabinetts sein, auf der unter Einbeziehung des Blüm–Berichtes entschieden werden muß. Ich gehe davon aus, daß das Kabinett im Sinne Blüms entscheiden wird. Nach Lage der Dinge bleibt gar nichts anderes übrig, als die Oppositionellen aufzunehmen. Wenn man in Ruhe und Gelassenheit die Fakten auf den Tisch legt, dann kann nur ein Signal für die Menschenrechte kommen. Auch wenn es jetzt keinen Handlungsbedarf in dem Sinne gibt, daß heute oder morgen Todesurteile anstehen, die Bundesregierung muß jetzt zeigen, daß sie aufnahmebereit ist, wenn der Tag X kommt. Innenminister Zimmermann wehrt die Aufnahme mit nachrichtendienstlichen Erkenntnissen ab. Was meinen Sie dazu? Man muß äußerst vorsichtig mit dem sein, was von der chilenischen Regierung an die Bundesregierung herangetragen wird. Solange dieses System ein diktatorisches System ist, muß man mit offiziellen Informationen von dort sehr, sehr vorsichtig sein. Eine unabhängige Kommission hat die chilenische Justiz untersucht und ist zu ganz verheerenden Ergebnissen gekommen. Insbesondere die chilenische Geheimpolizei ist eine sehr fragwürdige Informationsquelle. Setzt die Aufnahme die Verurteilung zum Tode voraus? Momentan ja. Wer aber die Situation in Chile kennt, weiß, daß es Pinochet möglich wäre, auch bei laufendem Gerichtsverfahren die 14 schon jetzt freizulassen. Interview: Benedict M.Mülder