Indien wird Statthalter in Sri Lanka

■ Nach dem Friedensvertrag verstärkt Indien seine Truppenpräsenz / Tamilenguerilla vor der Entwaffnung

Mit Parolen wie „Lang leben die Tiger“ zogen erstmals öffentlich Mitglieder der tamilischen Guerillagruppe „Befreiungstiger von Tamil–Eelam“ durch die Stadt Batticaloa auf Jaffna im Norden von Sri Lanka. Am Dienstag kündigte der Sprecher der größten Guerilliagruppe LTTE an: „Wir übergeben unsere Waffen für das Wohlergehen des Volkes.“ Rund 5.000 indische Soldaten sind an den strategisch wichtigen Punkten postiert, im Hafen von Trincomalee machten indische Kriegsschiffe fest und entluden Panzer. Idien hat sich verpflichtet, das von Premier Rajiv Gandhi und der Regierung von Sri Lanka ausgehandelte Friedensabkommen zu überwachen. In dem Abkommen wird der tamilischen Bevölkerung im Norden der Insel eine Teilautonomie zugestanden. Durch die schlichtende Rolle zwischen Tam Sri Lankas erhalten.

An normalen Tagen bietet der indische Ozean vor der Küste der srilankanischen Hauptstadt Colombo nur den Anblick atemberaubender Sonnenuntergänge und malerischer Fischerboote. Doch seit ein paar Tagen ist das Panorama um ein ungewöhnliches Element bereichert: Nur wenige hundert Meter von der Uferpromenade entfernt dümpeln zwei indische Kriegsschiffe, die die Einhaltung des Abkommens überwachen sollen, das - hoffentlich - den jahrelangen Krieg zwischen der srilankanischen Regierung und den tamilischen Guerillagruppen beenden wird. Die waffenstarrenden Fregatten übermitteln eine eindeutige Botschaft: Indien, die Heimat der gewaltfreien Methoden zivilen Ungehorsams, die radikale Kritikerin militärischer Interventionen rund um den Globus und Sprecherin der Blockfreien Staaten läßt seine Muskeln als regionale Großmacht in Südasien spielen. Wo Indira Gandhi noch eindeutig von „Sri Lankas Problem“ sprach und unparteiische Assistenz anbot, hat ihr Sohn die Rolle des Hauptdarstellers übernommen. Ob man dies nur als einen „Politikschwenk“ ansieht (so ein gemäßigter tamilischer Rechtsanwalt hier in Colombo) oder als „Kanonenbootpolitik wie im 19.Jahrhundert (ein westlicher Diplomat), kommt auf den Standpunkt des Beobachters an. Mit Sicherheit aber öffnet das indisch– srilankanische Abkommen die Tür für die erste militärische Intervention indischer Truppen außerhalb des Landes seit dem Krieg, der 1971 zur Abspaltung Bangladeshs von Pakistan führte. Und eben so sicher ist, daß die Regierung von Sri Lanka, aus welchem Grund auch immer, wesentliche Teile ihrer außenpolitischen Souveränität im Tausch für die Einigung mit den Tamilenführern abgegeben hat. So stimmte der srilankanische Präsident Jayewardene unter anderem zu, daß der große Naturhafen Trincomalee an der Ostküste - von den USA schon länger als Stützpunkt ins Auge gefaßt - nicht für „militärische Zwecke genutzt werden darf, die indischen Interessen zuwiderlaufen“. Die ebenfalls für Trincomalee geplanten Ölterminals werden jetzt mit technischer Unterstützung Indiens und nicht, wie geplant, durch US–Unternehmen gebaut werden. Desgleichen verpflichtete sich Sri Lanka, den Vertrag über die Errichtung einer Sendestation für die Voice of America noch einmal zu „überdenken“ und Indien bei der Heranziehung ausländischer Militärberater zu konsultieren, um sicherzustellen, daß „die gegenseitigen Beziehungen nicht getrübt“ würden. Ein klarer Sieg Indiens, dem die im Tamilenkonflikt eingesetzten pakistanischen Waffen und israelischen Berater schon lange ein Dorn im Auge waren. „Indien kann jetzt gegen so gut wie alles in der srilankanischen Außenpolitik ein Veto einlegen“, erklärt dazu ein verblüffter Diplomat. „Wie man es dreht und wendet, Indien hat jetzt die Rolle des Statthalters.“ Andere Beobachter sprechen schon von einer Finnlandisierung des 16 Mio. Staates Sri Lanka gegenüber der Großnation Indien mit ihren 780 Mio. Einwohnern und einem stehenden Heer von einer Million Soldaten. Für den außenpolitischen Experten und Journalisten Roland Edirisinghe erklärt sich der plötzliche Schwenk aus den unbefriedigenden Ergebnissen der prowestlichen Politik Sri Lankas der letzten Jahre, in denen Länder wie Singapur politisch wie wirtschaftlich als Modell dienten. Der Meinungswandel begann bei einigen Regierungsmitgliedern schon 1985. Damals setzte sich Agrarminister Gamini Dissanayake in einem Memorandum an den Präsidenten erstmals dafür ein, „Sri Lankas Außenpolitik zu überdenken, um die atmosphärischen Störungen mit Indien zu beseitigen“. Dissanayake und Finanzminister Ronnie Mel, der ebenfalls als Taube im Kabinett gilt, waren Jaye wardenes wichtigste Berater bei den Verhandlungen über das indisch–srilankanische Abkommen. De Mel hatte sich unter dem wachsenden Druck von Sri Lankas Gläubigern und angesichts des explodierenden Militärhaushalts immer wieder für eine friedliche Lösung des Tamilenkonflikts eingesetzt. Am 26. Juli erklärte er rundheraus: „Dies ist die letzte Chance für einen ehrenhaften Frieden. In der Krise, in der unser Land sich heute befindet, dürfen wir nicht emotional und kurzsichtig reagieren, sondern wir müssen uns pragmatisch entscheiden. Und das heißt: Ohne Indiens Hilfe können wir weder den Krieg gewinnen noch Frieden schaffen.“ Entsprechend dieser Einsicht wird Indien in Zukunft nicht nur in der Außenpolitik sondern auch in der Innenpolitik Sri Lankas eine beachtliche Rolle spielen, ein alter Traum der durchweg arroganten und elitären indischen Diplomaten. Das indische Rote Kreuz wird die Waffenübergabe durch die tamilischen Guerillas begleiten, Vertreter der indischen Wahl kommission werden das Referendum an der Ostküste überwachen. Und schon jetzt halten die indischen Diplomaten auf Sri Lanka das Zepter fest in der Hand. Der Chef der diplomatischen Mission in Sri Lanka überwachte persönlich die Verteilung indischer Hilfsgüter in den tamilischen Gebieten und wurde zum Dank von einer jubilierenden Menschenmenge durch die Straßen tamilischer Städte getragen. Der indische Botschafter selbst sorgte in den letzten Tagen für Aufsehen, als er erklärte, die indischen Truppen auf Sri Lanka unterständen ausschließlich seinem und indischem Kommando und der srilankanische Sicherheitsminister, der dies leugnet, sei ein Lügner. Auf die häufig gestellte Frage, ob und wann die indischen Truppen wieder abziehen würden, antwortet er stets:“Wo immer wir einmarschiert sind, sind wir auch wieder abgezogen.“ Tatsächlich ist das höchstens die halbe Wahrheit. Indien hat 1962 die portugiesische Kolonie Goa annektiert und sich 1974 im Himalayakönigreich Bhutan festgesetzt. 1971 half ein kleines Kontingent indischer Truppen der srilankanischen Regierung, einen Jugendaufstand niederzuschlagen. 10.000 Tote waren die Folge. Bezeichnend für Indiens neues Selbstverständnis ist auch ein kleiner Zwischenfall bei der letzten Pressekonferenz des indischen Botschafters in Colombo. Das Telefon klingelt. Der srilankanische Verteidigungsminister erkundigt sich, ob ein Vertreter Sri Lankas den Verhören beiwohnen könne, bei denen die Wahrheit über den angeblichen Attentatsversuch auf Gandhi herausgefunden werden soll. O–Ton Botschafter Dixit: „Das fände ich unangemessen. Ein Vertreter Sri Lankas kann doch draußen warten.“ Aus Colombo Rone Tempest / wps