Zyanide und Streptokokken im Badeparadies

■ Ein schwimmendes Öko–Institut schippert zur Zeit die italienische Küste entlang und analysiert Wasserproben Mit mobilem Chemie– und Bakteriologie–Labor soll innerhalb von zwei Monaten der gesamte Stiefel umfahren werden

Von Werner Raith

Von der „Goletta verde“ (taz) - Christian aus Bad Homburg, Jean aus Chur (Schweiz) und Gianmatteo aus dem italienischen Erracina miteinander gemeinsam? Sie sind vier Jahre alt, wohnen in miteinander verschwisterten Städten, haben in den vergangenen Tagen am Strand von Terracina nahe dem Porto Badino gebadet - und sind seither von Pusteln übersät. Die Flecken jucken nicht, lassen sich aber weder durch Salben noch durch Pillen vertreiben: Windpocken sind es auch nicht, sagt der Arzt. Woher sie kommen, müßte eigentlich die „Unita sanitaria locale“ in der Provizhauptstadt Latina klären. Doch die Gesundheitsbehörde verweist darauf, daß sie aufgrund von Verunreinigungswerten des Vorjahres sowieso der Stadt zum Badeverbot dreihundert Meter um den „Porto“ herum geraten hat. Die Kommunalverwaltung wiederum verweist auf Verbotstafeln - die freilich nur einen Tag Bestand hatten, dann waren sie wieder weg. Schließlich residieren nahebei Hotels und Bars. Außerdem, so Bürgermeister Abbate, „ist das Verbot sowieso eine reine Vorsichtsmaßnahme, denn heuer ist alles sauberer als im Vorjahr“. Die alte Leier: Die Gesetze sehen rigide Verbote nach entsprechenden Meßwerten vor - aber die Gemeinden unterlaufen sie, indem sie die Vorjahreswerte als veraltet hinstellen. Dieses Jahr jedoch wird es in vielen Gemeinden mit dem alten Trick nichts werden: Zum Entsetzen manches Bürgermeisters naht sich seiner „spiagga“ eine Art alptraumerzeugender Klabautermann namens „Goletta verde“ - ein Achtzehnmeterschoner, ausgestattet mit allen Raffinessen mobiler Chemie– und Bakteriologie– Labors, ein schwimmendes Öko– Institut. Gesponsert ist das Unternehmen vom Wochenmagazin LEspresso; die wissenschaftlichen Untersuchungen führt der Umweltschutzverband „Lega per lambiente“, die chemischen und bakteriologischen Analysen das renommierte Ecotrol–Institut in Turin durch. Die „Goletta verde“ ist, als sie in Terracina einläuft und uns zur Fahrt über Anzio nach Rom einlädt, schon sechs Wochen auf ihrer 4.000 Kilometerfahrt von Triest bis Ventimiglia ( an der französischen Grenze) unterwegs. Sie umfährt in zwei Monaten den gesamten Stiefel, nimmt alle paar Kilometer strandnah (“50 Meter Uferdistanz, zwei Meter Meerestiefe“) Wasserproben, die dann am jeweiligen Abend analysiert werden; zwei Tage danach kennt man die Ergebnisse - ein Stachel im Auge der Gesundheitsämter, die angeblich für ihre Arbeit ein halbes Jahr brauchen. Dabei sind die „Goletta“–Experten keineswegs weniger gründlich, im Gegenteil: Statt der vom Staat durchgeführten allenfalls zwölf Untersuchungstypen nehmen sie 22 Analysen vor - vom Säure– und Sauerstoffgehalt über den Nachweis von Sulfaten, Phosphaten, Zyaniden, Farbstoffen, Wasch mitteln bis zu Fäulnis– und Kotbakterien, Streptokokken und den Algenbewuchs. Die siebenköpfige Skipper– Crew (einschließlich Wolfshund– Findel „Luna“) hat festländische Unterstützung durch einen parallel fahrenden Camper, dessen dreiköpfige Besatzung den Kontakt zur Presse hält, die neuesten Werte bekanntgibt und in den angelaufenen Häfen öffentliche Diskussionen vorbereitet; ein Film über die vorjährige Exkursion steht zur Verfügung. „Gegenüber vorigem Jahr“, berichtet Stefano Lenzi, Pressesprecher der „Goletta verde“, „sind die lokalen Administratoren wesentlich hellhöriger geworden“, wahrscheinlich haben sie allitaliano, die vorige Goletta– Tour eher für eine der üblichen politischen Eintagsfliegen gehalten und stellen nun erstaunt fest, daß es die „Lega“ wie der Espresso ernst meinen mit den vier Jahren, für die sie die „Goletta“ gechartert haben - ein weltweit bisher einmaliges Unternehmen. „Mit ein paar hunderttausend Mark“, rechnet uns Stefano vor, „haben wir ein Maximum an Wirkung; lokale Umweltschützer sind nicht mehr auf offizielle Daten angewiesen, bekommen sie rechtzeitig und erhalten von uns direkte Argumentationshilfen.“ Die lokalen Administrationen schicken mittlerweile Vertreter zu den „Goletta“–Treffen - allerdings, wie Mario di Carlo von der Regionalsektion der „Lega“ bemerkt, „kommen da meist nicht die wirklich für den ökologischen Zustand verantwortlichen Bau– und Gesundheitsdezernenten, sondern die Tourismusassessoren“. Denen geht es vor allem um Vorinformationen über die Werte - um dann schon im Voraus in den Lokalredaktionen gegenzusteuern. Als die „Goletta“ in Anzio einläuft, wartet gerade einschlägige Dementi–Arbeit auf die Crew. Der Mattino, die größte süditalienische Tageszeitung, hat die neuesten Analysen über Neapel so instrumentalisiert: „Welche Überraschung: Goletta verde findet viel weniger Verschmutzung im Golf als angenommen“ - wahr daran ist nur, daß es nahe den Inseln Ischia und Capri relativ sauberes Wasser gab - „was aber wohl auf die am Tag der Wasserentnahme herrschende Strömung zurückzuführen ist“, erklärt Stefano, „die Verschmutzung im Golf selbst hat gegenüber früher eher zugenommen“. In Rom–Fiumicino sind zwei Tage Halt mit Konferenzen und öffentlichen Diskussionen sowie die Bekanntgabe der letzten Analysen vorgesehen. Da bekommen dann auch die Leute in Terracina eine Erklärung für die Pusteln. Doch eine eventuell notwendige Ausdehnung der Badeverbots wird es dieses Jahr trotzdem nicht geben: Das örtliche Sommer–Fest–Komitee, dem der Pfarrer vorsteht, hat für August eine Art Akrobatik– Wettbewerb ausgeschrieben, auf den man nicht verzichten will: Auf eingeseiftem Pfahl muß man über den verschmutzten Kanal klettern. Wer es nicht schafft, fällt ins Wasser - und kann sich, zum schadenfrohen Gelächter, auch noch Pusteln holen.