Senfgasskandal in Bayern

■ Im Auftrag des Bayerischen Innenministeriums wurde das Kampfgas „Lost“ ohne Schutzvorrichtungen und ohne Wissen der Bevölkerung „vernichtet“ / Arbeiter wurden zur Geheimhaltung verpflichtet

Aus München Luitgard Koch

Sechs Jahre lang war mitten in Bayern eine einzigartige Giftküche in Betrieb, von der kaum jemand wußte. Zwischen 1976 und 82 verbrannte die Firma Röhll Bohr– und Sprenggesellschaft im Auftrag des Bayerischen Innenministeriums in der Nähe von Ingolstadt in Oberbayern das hochgiftige Kampfgas Lost, bekannt auch als Senfgas, unter abenteuerlichen Bedingungen. Zur Vernichtung begnügte man sich mit ei nem Kanonenofen, zusammengeschweißt aus alten Metallteilen. Ein einfaches Rohr ersetzte die Abluft–Reinigungs–Anlage. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft München II, ob ein Verfahren wegen umweltgefährdender Abfallbeseitigung eingeleitet wird. Das Kampfgas, das in der Fachliteratur als dreimal so giftig wie Blausäure bezeichnet wird, verursacht chronische Bronchitis, Tumore der Hornhaut, Lungenkrebs und mögliche Schädigungen des Erbguts. Die unzureichenden Schutzmaßnahmen blieben für die Beschäftigten nicht folgenlos. Übereinstimmend attestieren der Traunreuther Hautarzt Dr. Nikolaus Klehr sowie der Münchner Arzt Dr. Zielker vom „Klinikum rechts der Isar“ einem an der Verbrennung beteiligten Arbeiter „eine chronische Vergiftung mit S–Lost“. Klehr erhält immer wieder anonyme Anrufe von ehemaligen Arbeitern, die seinen Rat suchen. Aus Angst nennen sie ihre Namen nicht, da alle Arbeiter zur Geheimhaltung verpflichtet wurden, so der Arzt. Mit einer Gehaltsangleichung von 900 Mark habe die Firma nach Bekanntwerden der Vorgänge die Arbeiter beruhigen wollen. Nach Angaben des Ingolstädter SPD–Landtagsabgeordneten Franz Götz soll die gesamte Asche aus den Lost–Ver brennungen noch immer auf dem Gelände lagern. Eine Gefährdung des Grundwassers sei deshalb nicht auszuschließen. Neben einer „schnellstmöglichen Überprüfung“ fordert Götz eine kostenlose Untersuchung aller Arbeiter und Anwohner auf „Lost–Spätfolgen“. Das bayerische Innenministerium reagiert auf die Vorwürfe gelassen. Mit der Behauptung, es sei nur bei günstigen Windrichtungen verbrannt worden, die Arbeiter hätten Schutzanzüge getragen und außerdem sei laufend gemessen worden, versucht man sich aus der Affaire zu ziehen.