Die Okkupation der Menschenrechte

■ Die Chile–Reise Blüms und sein Protest gegen die Folter werden zur Profilierungskampagne der CDU

In der zehnten Etage des Konrad– Adenauer–Hauses kann man zufrieden sein: Die „Operation Chile“ hat, trotz des Streits in der eigenen Partei, trefflich eingeschlagen. Das zahllose spalten– lange Lob, das dem Sommerlochkiller Blüm zuteil wurde, tröstet die Bundespartei über das gerade erlebte Doppelnull–Lösungs–Desaster hinweg. So konzeptlos die CDU in jenen Wochen den Initiativen Gorbatschows und deren Echo in den Medien ausgesetzt war, so souverän konnte sie diesmal das Thema „Menschenrechte“ ganz für sich allein okkupieren. FDP–Außenminister Genscher stand mit seinem erst vor einem Jahr ernannten Chile–Botschafter Kullak–Ublick, der der Junta wenig kritisch gegenübersteht, etwas unglücklich da. Und die SPD, immerhin verantwortlich dafür, daß die gegen militante Regimegegner gerichtete Sicherheitsüberprüfung überhaupt eingeführt wurde (1975 hatte die Innenmnisterkonferenz der SPD/ FDP–Koalition beschlossen, daß „Kapitalverbrechern“ kein Asyl gewährt werden dürfe), hatte der CDU bisher vor allem vorzuwerfen, der Blüm–Besuch sei hauptsächlich aus taktischen Überlegungen heraus erfolgt. Was sicher stimmt - aber nichts daran ändert, daß aufgrund von Blüms Reise die chilenischen Verhältnisse hierzulande mehr zum Thema geworden sind als in den Jahren der sozialliberalen Koalition. Die Union also doch auf dem Weg zur Linkspartei? „Der über die Christlich–Demokratische–Union hereingebro chene Streit geht um die Rolle des C für unsere Politik.“ Der Bundesvorsitzende der Jungen Union, Christoph Böhr, kann es sich leisten, die Debatte, die seit 1983 latent, seit dem relativ schlechten Wahlergebnis bei der diesjährigen Bundestagswahl verstärkt die Partei bewegt, zuzuspitzen: „Soll die CDU eine bürgerliche Sammlungsbewegung werden, ähnlich den Konservativen in England, oder liegt ihr etwas an der Identität als christliche Partei?“ Der Streit wird, die letzten Monate haben es gezeigt, immer wieder exemplarisch, aber nie explizit geführt: Asyl, Abtreibung und jetzt Menschenrechte sind die Themen, an denen sich auch zeigt, daß die Fronten nicht grundsätzlich gemäß dem Schema „Parteirechte–Parteilinke“ verlaufen, wenngleich die Flügelauseinandersetzungen eine wichtige Rolle spielen. Es haben aber auch die Junge Union Bayern, der Ex–Kultusminister Maier und etliche Gruppen und Funktionsträger aus dem Spektrum der katholischen Kirche Partei für Blüm ergriffen. Und selbst Parteirechtsaußen Dregger, der in einem Aufsatz für die Welt erstmals seit der Bundestagswahl eine programmatische Gegenposition zu Geißler formuliert hat, hat das Thema „Menschenrechte“ als Schwerpunkt akzeptiert: „Die Forderung nach Menschenrechten ... kann nur durch ihre Glaubwürdigkeit und Lauterkeit Gewicht gewinnen .. Meine Forderung, beim Besuch des Staatsratsvorsitzenden Honecker über den Schießbefehl zu reden, ist kritisiert worden. Ich hoffe sehr, daß diese Forderung jetzt einmütige Zustimmung bei all denen finden wird, deren Gewissen durch das Auftreten Blüms in Chile geschärft wurde.“ Daß die Menschenrechtssituation in der DDR aus Anlaß des Honecker– Besuchs in der BRD diskutiert werden soll, hält auch Böhr für notwendig: „Die CDU war in den letzten Jahren pragmatisch bis zum Exzeß, die Leute wollen jetzt aber mal Grundsätze erkennen, Prinzipien, an denen wir auf jeden Fall festhalten.“ In Geißlers neuestem Konzeptpapier liest sich das ähnlich: es müsse deutlich werden, „daß wichtige und grundsätzliche Entscheidungen unserer Politik auf dem christlichen Menschenbild aufbauend, ethisch begründbar sind“. Daß sie politisch umsetzbar sind, kann gegebenenfalls der Regierung überlassen werden, denn daran lassen weder Böhr noch Geißler noch sonst jemand irgendwelche Zweifel: Die anlaufende Grundsatzdiskussion soll helfen, die in letzter Zeit fast wieder zum Kanzlerwahlverein degenerierte CDU als Partei zu profilieren und ihren Handlungsspielraum gegenüber der Regierung wieder zu vergrößern. Daß das notwendig ist, haben auf einer Klausursitzung des Parteivorstands Anfang des Sommers in Königswinter so unterschiedliche Leute wie Ulf Fink, Alfred Dregger und Helmut Kohl selbst eingestanden. Nicht zufällig reist deshalb Blüm ausdrücklich nicht als Kabinettsmitglied, sondern als stellvertretender Bundesvorsitzender, und auch Helmut Kohl hat bisher lediglich als Parteichef, nicht als Bundeskanzler Stellung bezogen. Das Ende dieser eröffneten Debatte ist offen: Geißler hat zwar in Bonn Einfluß wie kein anderer, es ist aber ein offenes Geheimnis, daß sich an der Basis Unmut über die Strategiearbeit am grünen Tisch breitgemacht hat. Ein Unmut, auf den der Generalsekretär bisher nur mit Worten reagiert hat, die erst dann zu einer Klärung beitragen, wenn ihnen Taten folgen: „Wir wollen niemanden an den Rand drängen: die Bauern nicht, die Katholiken nicht, die wegen der viel zu hohen Abtreibungszahlen unmutig sind, die Heimatvertriebenen nicht - das sind alles keine Radikalen am rechten Rand, das sind Wählerschichten in der Mitte.“ Neben der parteiinternen Dynamik, die der Blüm–Besuch entwickelt hat, sind aber auch die internationalen Interessen zu sehen, die bewirkt haben, daß die Visite gerade jetzt stattfand: Parallel zu den USA setzt auch die Führungsspitze der CDU seit 1984 immer weniger auf den Diktator Pinochet. Die angestrebte politische Perspektive ist statt dessen der 1989 anläßlich des Plebiszits zu vollziehende Übergang zu einer Regierung von Reformmilitärs und Christdemokraten geworden. Immer wieder hat Geißler, der bis dahin das regelmäßige Eintreten rechter CDU–Flügelleute für die Junta unbeachtet ließ, seitdem unterstrichen, daß „repressive Systeme wie in Chile die gesamte freie Welt diskreditieren“. Andererseits aber sei militanter Widerstand gegen das Regime genauso scharf zu verurteilen. Die kommunistische Opposition, gewinne sie mehr Einfluß oder gar die Macht, sei „mindestens genauso schlimm wie die Militärdiktatur, wenn nicht noch schlimmer“. oto