Fischwirtschaft vom Wurm befallen

■ Fernsehbeitrag über Würmer im Fisch führt in der Fischwirtschaft zu Kurzarbeit und Entlassungen / An der Fischbörse rutschen die Preise in den Keller / Fischhändler verbittert

Von Holger Bruns–Kösters

Bremerhaven (taz) - Bestgehaßter Mann in Bremerhaven ist zur Zeit der Fischverarbeiter Michael Reyer. „Der hat uns den ganzen Schlammassel eingebrockt“, schimpfen Kollegen. Der Mann, an dessen Leuchttisch das Monitor–Team die Bilder filmte, die zahlreichen FernsehzuschauerInnen für möglicher weise lange Zeit den Appetit auf jeglichen Fisch gründlich zu verderben, wird inzwischen von der Polizei geschützt. „Warum wird ein altbekanntes Problem jetzt so hochgespielt?“ Der Bremer Fischhändler L.F. Bodes ist verbittert. Nachdem Monitor vor eineinhalb Wochen Würmer in Fischfilet und mariniertem Hering entlarvte, ist sein Umsatz immer weiter zurückgegangen. Und seinen Kollegen geht es genauso. Von zunächst 30 den Tagen nach der Ausstrahlung des Films ist der Geschäftsverlust inzwischen auf 80 versichern, die Würmer krabbelten im Fisch, seit es diesen gebe. Der Ekel vor den widerlichen, weißlichen Parasiten, die sich nach dem Genuß von braungeschmortem Filet in die Darmwand bohren sollen, ist offenbar zu stark. Die eindrucksvollen Fernsehbilder haben sich nachhaltig eingeprägt, und so schimpft Fischhändler Bodes: „Nur um hohe Einschaltquoten zu errei chen, machen die eine ganze Industrie kaputt.“ In Bremerhaven gibt es kaum noch ein anderes Thema, das der öffentlichen Erörterung wert wäre. Die örtliche „Nordseezeitung“ veröffentlicht jeden Morgen das Bulletin von der Parasitenfront. In der Seestadt sind mehr als 20 und nun kriselt es auch in der Fischwirtschaft, die doch gerade konsolidiert schien. Die ersten Betriebe beginnen Kurzarbeit anzumelden, Massenentlassungen werden für die nächsten Tage angekündigt. An der Fischbörse, in den Auktionshallen, rutschen die Preise immer weiter. Für isländischen Rotbarsch, der vor der Monitor– Sendung mehr als 90 Pfennig pro Pfund brachte, werden gerade noch 45 Pfennig gezahlt. Zu diesem Preis dürfen Fischfänger aus Ländern der Europäischen Gemeinschaft ihre angelandete Ware nach einer EG–Verordnung gar nicht verkaufen, und so wurden bereits mehr als 1.500 Zentner vor Grönland gefangener Rotbarsch zu Fischmehl verarbeitet. Für das so entstehende Viehfutter gibt es sogar mehr Geld, 59 Subventionspfennige aus der EG–Kasse. Gegen „Abfall– und Krankenhausjournalismus“ wettert derweil täglich in großen Anzeigen ein Fischfachgeschäft. Weil mit Angriffen auf die Fernsehleute dem Ekel der Verbraucher aber kaum beizukommen ist, reden die meisten Vertreter der Fischindustrie wenig über Würmer und stattdessen auf einmal viel über Verordnungen. Zeit genug wäre längst gewesen, solche Verordnungen, die als nicht bindende Empfehlungen der Fischereiwirtschaft bereits existieren, zu erlassen. Denn daß die Nordseefische, besonders die Heringe, immer stärker von Würmern befallen sind, ist den Fischern seit langem bekannt. Um den Verbrauchern die Scheu vor Fisch zu nehmen und den Wurm, wenn er denn schon im Fisch ist, wenigstens zu töten, müssen Heringe und Makrelen künftig sofort nach dem Anlanden tiefgefroren oder sorgfältig ausgenommen werden. Wer den Hering gewerbsmäßig vom toten Fisch zur attraktiven Delikatesse machen will, muß zudem zukünftig eine Lizenz beantragen. Daß es mehr Würmer im Fisch gibt, liegt am Wirtstier der Nematoden, dem Seehund. Mehr als 5.200 mit steigender Tendenz hat der Leiter des National–Parks Wattenmeer, Dr. Claus Helbig, zählen lassen und immer mehr sind erkrankt. Der Grund: Da das Abwehrsystem der Tiere durch die Wasserverschmutzung erheblich gestört ist, nimmt deren Befall durch Parasiten zu. Mit dem Kot der Seehunde werden die Larven ausgeschieden und dann zum Beispiel von Flohkrebsen gefressen. Diese wiederum sind Nahrung der Heringe. Im Regelfall halten sich die Würmer in der Leibeshöhle des Fisches auf. Liegen die Heringe aber sechs Tage oder länger unter Eis, frißt sich der Wurm in die Muskulatur ein. Mit den Folgen des Fernsehberichts wird sich die Fischindustrie noch eine ganze Zeit herumschlagen müssen. Ist der Ruf erst ruiniert, nutzen wohl auch Informationen der Verbraucherverbände (AGV) wenig, die inzwischen verlautbarten, daß Fisch heute ebenso unbesorgt gegessen werden könne wie früher. Profitieren vom Wurm könnte hingegen Fischverarbeiter Reyer. Er hat Produktion und Vermarktung seines Leuchttischs, den sein Großvater 1926 im Kampf gegen den Wurm patentieren ließ, einer Firma übergeben. Das ökonomische Interesse von Reyer war dem WDR bekannt. Ein Redakteur: „Dessen Motive sind das eine, aber wir brauchten die Bilder.“