I N T E R V I E W Unnötiges Leiden der Schmerzpatienten verhindern

■ Prof. Dr. Michael Zenz, Direktor der Universitätsklinik für Anästhesiologie, Intensiv– und Schmerztherapie in Bochum über Opiattherapie bei Krebspatienten

taz: Wir haben hier von der schrecklichen Situation vieler Krebskranken, besonders im fortgeschrittenen Stadium gehört, die unnötig Schmerzen leiden. Gibt es ideologische Gründe gegen die Verabreichung von Opiaten, wie Sie es fordern? Prof. Zenz: Ich weiß nicht, ob man sie ideologisch nennen kann, aber es gibt Gründe dafür, die Opiate nicht in ausreichender Menge einzusetzen. Einerseits sind mit Morphinen und ähnlichen Präparaten immer bestimmte Ängste und Befürchtungen verbunden - also die Angst vor Sucht, vor Abhängigkeit, vor Toleranzentwicklung, die Angst vor einem Dämmerzustand, vor Übertherapie, vor Nebenwirkungen. Diese Gründe führen nur dazu, daß nicht nur die Ärzte, sondern auch die Patienten eine große Reserviertheit gegenüber diesen Medikamenten zeigen. Der zweite Grund liegt darin, daß wir in der Bundesrepublik eine sehr scharfe Betäubungsmittelgesetzgebung haben, die den Umgang mit diesen Medikamenten sehr strikt reguliert. Diese Regulierungen sind kompliziert, sie beinhalten immer die Gefahr, einen Fehler zu machen, die Rezepte mehr mals ausstellen zu müssen, weil irgendein kleiner Kommafehler drin ist. Bei grob fahrlässigem Ausfüllen dieser Opiatrezepte sind auch noch Strafen möglich, ein Grund für verschiedene Kollegen, sich darauf gar nicht erst einzulassen. Wie stichhaltig ist denn eigentlich die Angst vor einer möglichen Sucht bei Krebspatienten? Meiner Erfahrung nach gleich Null. Die Erfahrungen in Deutschland und vielen anderen Ländern zeigen eindeutig, daß bei richtiger Opiattherapie eine Suchtauslösung fast nie vorkommt. Ganz im Gegensatz zu vielen anderen Medikamenten, die wir täglich und mit großer Bereitwilligkeit verschreiben, wie beispielsweise die Valium–Abkömmlinge, die sogenannten Benzodiazepine. Bei diesen Medikamenten ist - ob bei richtiger oder falscher Therapie - sicher mit einer Sucht zu rechnen. Bei einer richtigen Morphintherapie dagegen nicht. Bei richtiger Einstellung gebe ich diese Medikamente so, daß über den ganzen Tag hinweg ein wirksamer Spiegel an diesem Medikament vorhanden ist und der Pa tient niemals das Bedürfnis hat, seinen Spiegel wieder erhöhen zu müssen. Es ist dann kein Zeitpunkt am Tag vorhanden, wo sich der Patient auf seinen nächsten „Schuß“ freuen würde, und damit wird der Sucht vorgebeugt. Gibt es Zahlen über die Schmerzbehandlung bei Krebskranken in der Bundesrepublik? Wir haben in Hannover in Zusammenarbeit mit der AOK und der Kassenärztlichen Vereinigung eine Untersuchung durchgeführt für das erste Halbjahr 1985. Wir haben untersucht, wie häufig bei welchen Patienten in einer Bevölkerungsgruppe von 320.000 Opiatrezepte ausgestellt wurden. Insgesamt haben 16 Prozent der niedergelassenen Kollegen irgendwann einmal in diesem Zeitraum ein Opiatrezept für 0,06 Prozent der Patienten ausgestellt. Nun kann man errechnen, daß - wenn 192 Patienten dieses Morphin bekommen haben - etwa 700–1.000 Patienten in einem Finalstadium der Krebserkrankung mit erheblichen Schmerzen vorhanden gewesen sein müssen, die diese wirksamen Medikamente nicht bekommen haben, also hinsichtlich der Schmerztherapie eindeutig unterversorgt waren. Hierbei sind die Schmerz–Patienten mit einer anderen Diagnose als Krebserkrankung im Finalstadium noch nicht einmal berücksichtigt. Was fordern sie vom Gesetzgeber? Ich fordere langfristig eine Beseitigung dieser Betäubungsmittelvorschrift, jedenfalls für die betroffenen Patienten. Diese Vorschrift dient ausschließlich dem Schutz der Süchtigen und nicht dem Schutz der Patienten. Wir haben ein Gesetz, das die wenigen Fixer in der Bevölkerung schützen soll, ohne daran zu denken, daß wir für viele Tausende von betroffe Familie sind, gibt es zwar nicht publizierte, aber doch bekannte Zahlen, daß auch dort Opiate nicht verschwinden, weil davor sogar die Fixer eine große Hemmschwelle zu haben scheinen. Interview: Gabi Haas