FDP–Präsidium zog die ALKEM–Fäden

■ Bundeskabinett sicherte 1979 ALKEM illegale Lagermöglichkeiten für ihre Plutoniummengen zu

Von K.–P. Klingelschmitt

Fast ein Jahr lang hat sich der ehemalige FDP–Innenminister der sozialliberalen Koalition, Gerhard Baum, den Plänen der ALKEM, des 1981 ermordeten hessischen FDP–Wirtschaftsministers Heinz–Herbert Karry und des damaligen Bundesforschungsministers Volker Hauff (SPD) widersetzt, bei der ALKEM am geltenden Atomrecht vorbei Lagerkapazitäten für nichtgenehmigte Plutoniummengen zu schaffen. Wie aus verschiedenen der taz vorliegenden Schreiben und Aktenvermerken hervorgeht, die in den Jahren 1978 und 79 zwischen dem Bundesinnenministerium (BMI), dem Bundesforschungs ministerium (BMFT) und dem hessischen Wirtschaftsministerium (HMWT) kursierten, hat erst eine Sitzung des FDP–Präsidiums am 19.3.1979 den Widerstand Baums brechen können. Hintergrund der Auseinandersetzungen zwischen den Kabinettskollegen Baum und Hauff war ein vom hessischen Wirtschaftsminister Karry befürworteter Antrag der Hanauer Plutoniumfabrik ALKEM, die Lagerkapazitäten für Plutonium über die in der alten, 1975 ungültig gewordenen Betriebsgenehmigung zugestandene Umgangsmenge von 460 kg Plutonium erhöhen zu wollen. Da es die ALKEM versäumt hatte, nach der 1975 erfolgten Änderung des Atomgesetzes einen gesetzlich vorgeschriebenen An trag auf Neugenehmigung ihrer Anlagen nach dem §7 des neuen Atomgesetzes zu stellen, meldete Bundesinnenminister Baum bereits im Januar 1977 Bedenken gegen den Weiterbetrieb der ALKEM–Anlagen an. Er verlangte die Einleitung ei nes ordentlichen atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens nach §7 Atomgesetz - „mit der vorgeschriebenen Öffentlichkeitsbeteiligung“. In einer Besprechung im BMFT am 28.2.78 erläuterte die hessische Ministerialbeamtin Dr. Angelika Hecker, die ab Montag in Hanau vor Gericht stehen wird, daß ein ordentliches Verfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung frühestens 1980 zum Abschluß kommen könnte. Die ALKEM müsse aber sofort mehr Plutonium lagern und verarbeiten dürfen. Fortsetzung auf Seite 2 Zwei Ministerialbeamte des BMFT verwiesen im Anschluß auf die „Engpaßsituation“ bei der ALKEM. Die Plutoniumfabrik verfüge lediglich noch über eine Kapazität von 90 kg. Doch alleine 1978 erwarte die ALKEM Lieferungen von 775 kg Plutonium aus La Hague. Ihr Fazit: „Die Bundesregierung steht unter Zugzwang.“ Das Plutonium, so der „Kompromißvorschlag“ des hessischen Wirtschaftsministers, sollte im sogenannten „ALKEM–Bunker“ in staatliche Verwahrung genommen werden. Mit dieser Vorgehensweise, so die Argumentation, könne das ansonsten erforderliche Genehmigungsverfahren Atomgesetz „legal“ umgangen werden. Der Vertreter des BMI akzeptierte diesen Weg grundsätzlich, verlangte aber, daß „aus politischen Gründen“ eine Öffentlichkeitsbeteiligung am Verfahren erfolgen müsse. Mit der „grundsätzlichen Akzeptanz“ ließ allerdings auch das BMI außer acht, daß die 775 kg Plutonium weiterhin tat sächlich von der ALKEM gelagert und anschließend zu Brennelementen verarbeitet werden sollten. Von einer einer Aufbewahrung des Plutoniums in Verwaltung des Bundes konnte demnach keine Rede sein. Bedenken gegen diese Verfahrensweise äußerte die Physikalisch–Technische Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig, die das Plutonium für die Bundesregierung in Hanau einbunkern sollte. In einem Schreiben des BMFT an den hessischen Wirtschaftsminister vom 14.4.78 weist das BMFT darauf hin, daß das Bundesinnenministerium wohl nur „unter wirklichem Zwang (sachlich und politisch)“ einer Erweiterung der Plutonium–Lagermenge unter diesen Bedingungen zustimmen werde. Mit Schreiben vom 10. Mai 78 forderte Baum daraufhin seinen Kabinettskollegen Hauff und den hessischen Wirtschaftsminister Karry erneut auf, die „unbedingte Notwendigkeit der Einlagerung des Plutoniums“ nachzuweisen. Bundesforschungsminister Hauff ließ Baum nun wissen, daß dann die deutsche Forschungs–Wiederaufbereitungsanlage in Karls ruhe sofort die Aufarbeitung von Brennelementen stoppen müßte und darüberhinaus die Fertigung von Brennelementen für den Schnellen Brüter durch die ALKEM - „innerhalb des geringen Spielraums von 280 kg Plutonium“ - „wirtschaftlich sinnlos“ werde. Die Möglichkeiten, Plutonium im Ausland einzulagern, seien von der ALKEM bereits - „soweit als möglich“ - ausgenutzt worden. Mit dem Schreiben vom 29.6.78 bestätigte Hauff, daß das angebliche Bundesplutonium voll in den ALKEM–Produktionsprozeß integriert werden sollte. Baums BMI verwies nun darauf, daß sich der Staat im Falle einer Verwahrung von Plutonium dem Vorwurf aussetze, ein „Plutoniumstaat“ zu sein und verlangte erneut die Durchführung eines gesetzlichen Genehmigungsverfahrens. Hauff drängte daraufhin auf einen „Kabinettsentscheid“. Noch vor diesem Kabinettsentscheid drängte Karry (FDP) das FDP–Präsidium zu einer Sondersitzung, auf der dann - am 19.3.79 - die „Blockadepolitik“ des FDP–Bundesministers Baum gerügt wurde. In Abwesenheit von Baum entschied die FDP– Spitze (Riehmer, Hirsch, Lambsdorf, Karry), daß die von Karry vertretene Rechtsauffassung „nach Lage der Dinge“ zu akzeptieren sei. Die Situation „erzwinge“ die Anordnung der staatlichen Verwahrung.