I N T E R V I E W „Der Kampf geht nach dem Abkommen weiter“

■ V. Balakumar, Sprecher der Tamilen–Gruppe „Eelam Revolutionary Organisation“ (EROS), zum Abkommen Indien–Sri Lanka / Die Waffen bisher nicht abgeliefert / Keine Lösung der nationalen Frage, aber Reduzierung des Chauvinismus auf beiden Seiten / Vorwurf neuer Morde an die Armee Madras (taz) - EROS, deren Führung durch die palästinensische PLO trainiert wurde, ist neben den „Tamil Tigers“ mit etwa 1.000 Kämpfern die stärkste Guerillaorganisation der Tamilen. Wegen ihres eigenwilligen Kurses - in engr militärischer Kooperation mit den „Tigers“, jedoch mit völlig unterschiedlichem Programm - wird EROS als das „Dunkle Pferd“ der Bewegung bezeichnet.

taz: Was passierte in Neu Delhi, und wie steht ihr zum Abkommen? V. Balakumar: Wir wurden völlig überraschend nach Delhi bestellt. Vertreter des indischen Außenministeriums legten uns eine Kopie des Abkommens vor, die wir für 30 Minuten einsehen durften. Wir protestierten insbesondere in drei Punkten: Das Abkommen schließt die 40 Prozent Tamilen, das sind 1,2 Millionen Menschen, die in den Plantagen der Zentralprovinz leben, völlig aus. Zweitens steht nichts über die singhalesische Kolonisation des Ostens während der letzten 40 Jahren drin. Der dritte Punkt betrifft die Niederlegung der Waffen. Die Vertreter des Außenministeriums machten uns jedoch deutlich, daß unsere Meinung zum Abkommen nicht gefragt war. Alles war vorgeplant und be schlossen. Es geht hauptsächlich um Indiens Sicherheit, um die Pläne für eine Friedenszone im indischen Ozean. Unglücklicherweise ist unser sogenanntes ethnisches Problem in diese geopolitische Situation verwickelt. Jetzt sind die indischen Friedenstruppen in unserem Land, wir müssen mit ihnen kooperieren. Wir glauben, daß sie eine gewisse Erleichterung für unser Volk bringen. Und wir hoffen, daß den amerikanischen Interessen dadurch die Tür gewiesen und ihr Plan für die Region zerstört wird. Ihr habt bisher keine Waffen abgeliefert... Wir haben die indischen Truppen informiert, daß wir zur Niederlegung bereit sind. Vorher müssen jedoch gewisse Modalitäten erfüllt sein. Wir brauchen Zeit, um unsere Kader zu überzeugen. Ihre Sicherheit muß gewährleistet sein. Am Dienstag wurden zwei unserer Kader von srilankanischen Soldaten ermordet. Wir fordern eine Untersuchung der Morde. Welche Auswirkungen hat das Abkommen in Hinblick auf die Chauvinisten bei den Singhalesen? Ein indirekter Effekt ist, daß diese Kräfte jetzt gespalten sind. Das ist ein entscheidender Durchbruch. In den letzten 35 Jahren hat die regierende singhalesische Klasse die rassistischen, antitamilischen Gedanken für ihre Machterhaltung genutzt. Jetzt sind dieselben Leute gezwungen, uns eine Art regionaler Autonomie anzubieten. Eine verstörte singhalesische Bevölkerung beginnt zu fragen, warum eine solche Lösung nicht schon vor Jahen möglich war. Die Regierenden versuchten immer, Probleme wie Arbeitslosigkeit, steigende Lebenshaltungskosten usw. mit Verweis auf die Tamilen zu verschleiern. Das singhalesische Volk wird jetzt merken, daß der wahre Feind der Staat ist. Obwohl das Abkommen keine Lösung der nationalen Frage für uns bringt, reduziert es chauvinistische Haltungen auf beiden Seiten. Für uns ist es eine Basis, um mit progressiven Singhalesen zusammenzuarbeiten. Wie schaltet ihr euch in den jetzt beginnenden Prozeß der Aufteilung in Provinzräte ein? Wir sind nicht im Bilde, was überhaupt genau geplant ist, darüber hat die indische Regierung nur mit der moderaten „TULF“ (Tamil United Liberation Front) gesprochen. EROS selbst wird keine politische Partei werden, aber wir nutzen die Chance, um durch unseren politischen Flügel die Bevölkerung zu erreichen. Unmittelbare Hauptaufgabe ist die Rehabilitierung Zehntausender von Flüchtlingen und vertriebener Kleinbauern. Tausende von Jugendlichen mußten ihre Ausbildung abbrechen, Zehntausende werden aus dem Ausland zurückkommen. Wir brauchen Geld, um Arbeitsplätze zu schaffen, Wohnungs– und soziale Probleme zu lösen. Wie beurteilt ihr die Pläne der USA, massenhaft Gelder zum Wiederaufbau ins Land zu pumpen? Nicht nur die USA, auch Indien und der Ostblock werden Gelder hereinpumpen. Die Supermächte, alle internationalen Institutionen - aus jeder Ecke wird das Abkommen begrüßt. Wir sind uns jedoch ihrer Motive, die revolutionären Ideen zu zerschlagen, bewußt. Wir werden versuchen, das Geld in unserem Sinn zu nutzen. Ist der revolutionäre Kampf der Massen, von dem ihr in der Vergangenheit gesprochen habt, am Ende? Nein, nein, nein. Wir verstehen diese Phase als Anfang und Vorbereitungsphase. EROS hat 1977 den bewaffneten Kampf begonnen, um zusammen mit den Tamilen des Nordens und Ostens für eine Emanzipation der Plantagenarbeiter zu kämpfen. In Delhi haben wir deutlich gemacht, daß wir diesen Kampf weiterführen werden. Wir versuchen es in politischer Form; wenn die Regierung Sri Lankas das nicht zuläßt, müssen wir zu anderen Formen des Kampfes übergehen. Interview: Biggi Wolff