Späte Aktion der ALKEM–Kontrollbehörde

■ Vorabzustimmungen ohne immissionsschutzrechtliche Genehmigung erteilt / Genehmigungsbehörde fordert ALKEM–Schließung / Umweltminister Weimar schweigt seit Wochen / Landgerichtsprozeß gegen Atommanager beginnt heute in Hanau

Von K.–P. Klingelschmitt

Frankfurt (taz) - Seit Ende Juli liegt dem hessischen Minister für Umwelt und Reaktorsicherheit Karlheinz Weimar (CDU) ein Schreiben des Darmstädter Regierungspräsidenten Dr. Wierscher (SPD) vor, in dem die umgehende Stillegung der wichtigsten Anlageteile der Hanauer Plutoniumfabrik ALKEM gefordert wird. Der für den Immissionsschutz bei den Atombetrieben zuständige Regierungspräsident moniert, daß zu mindestens fünf „Vorabgenehmigungen“, die in den Jahren 1977 bis 1984 von den damals jeweils zuständigen hessischen Ministern für Wirtschaft und Technik erteilt worden waren, die nötigen immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen nicht eingeholt worden seien. Damit hat sich der Regierungspräsident der Rechtsauffassung des noch von Ex–Umweltminister Joschka Fischer (Grüne) beauftragten Gutachters Dr. Rainer Geulen angeschlossen. Der hatte in einer Expertise zur Genehmigungssituation der ALKEM aus geführt, daß deren Produktionsanlagen ohne Genehmigung nach dem Bundes–Immissionsschutzgesetz (BImSchG) betrieben würden. In seinem Schreiben vom 2.7.87 an den hessischen Minister für Umwelt und Reaktorsicherheit, das der taz am Wochenende zugespielt wurde, stellt Dr. Wierscher fest, „daß bisher we der für die bestehende noch für die geplante Anlage der ALKEM vom hessischen Minister für Wirtschaft und Technik bzw. von meinem Haus eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung erteilt worden ist“. In drei Fällen, so der Regierungspräsident, seien „wesentliche Änderungen“ vorgenommen worden, die nach dem Vorschriften des § 15 BImSchG hätten genehmigt werden müssen. Wierscher fordert daher, daß die atomrechtliche Genehmigungsbehörde, die beim hessischen Minister für Umwelt und Reaktorsicherheit angesiedelt ist, die Stillegung der ALKEM–Anlagen zu verfügen habe. Wierscher: „Der Betrieb einer nicht genehmigten Anlage ist grundsätzlich und stets eine Quelle erheblicher Gefahren und als abstraktes Gefährdungsdelikt strafbar.“ Diese Einschätzung deckt sich mit der Auffassung der Hanauer Staatsanwaltschaft, die zwei der von Wierscher monierten Vorabzustimmungen zum Gegenstand der Anklageerhebung gegen leitende Ministerialbeamte des hessischen Wirtschaftsministeriums und gegen die beiden Atommanager Warrikoff und Stoll gemacht hat. Siehe dazu Tagesthema Seite 3 Kommentar auf Seite 4 Auch die Staatsanwaltschaft hält die von Wierscher benannte „Vorabzustimmung“ für die Einführung der Konversion für rechtswidrig, da sie keinesfalls der Erhöhung der Sicherheit der Anlage gedient habe. Auch die Verlagerung der „Chemie“ in den Spaltstoffbunker wird das Hanauer Landgericht beschäftigen. Der Regierungs präsident teilt zwar die Auffassung des ehemaligen hessischen Ministers für Wirtschaft und Technik, Ulrich Steger(SPD), wonach die Absicht, die „Chemie“ in den Bunker zu verlagern, ein „sicherheitstechnischer Gewinn“ sei. Doch seine Behörde habe nach einer am 10.6.87 erfolgten Betriebsbesichtigung feststellen müssen, daß lediglich Fässer mit hochradioaktivem Abfall aus dem Bunker heraus in einen ungeschützten Bereich der ALKEM verbracht worden seien. Die Tatsache, daß der hessische Umwelt– und Reaktorsicherheitsminister Weimar, der aus „Sicherheitsgründen“ die befristete Stilllegung der Brennelementefabrik NUKEM angeordnet hat, das Schreiben Wierschers seit Ende Juni „bunkert“, hat die „weiße Weste“, mit der der 37jährige im Kabinett Wallmann sein Amt antrat, erneut befleckt. Schon kurz nach Amtsantritt hatte Weimar der Öffentlichkeit einen gravierenden Zwischenfall bei der Hanauer Brennelementefabrik RBU verschwiegen. Im Regen steht allerdings auch die sozialdemokratisch geführte Vorgängerregierung Börner. Denn die jetzt von einem sozialdemokratischen Regierungspräsidenten erhobene Forderung nach Stillegung der Plutoniumfabrik ALKEM aufgrund fehlender immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen war von dem grünen Mitglied der Börner–Regierung, Joschka Fischer, wiederholt gestellt worden. Die Einlassungen Fischers, der sich auf die Thesen Geulens stützten, wurden damals von Börner als „schlicht falsch“ zurückgewiesen.