Eklat im ALKEM–Prozeß

■ Angeklagter Thurmann beschuldigt Staatsanwaltschaft, die Anklageschrift frisiert zu haben

Von Klaus–Peter Klingelschmitt

Hanau (taz) - Vor der Umweltstrafkammer des Hanauer Landgerichts begann gestern der Prozeß gegen die Geschäftsführer der Plutoniumfabrik ALKEM, Alexander Warrikoff und Wolfgang Stoll, sowie gegen die Ministerialbeamten Ulrich Thurmann, Hermann Frank und Angelika Hecker. Sie sind angeklagt, eine kerntechnische Anlage - in diesem Fall die Plutoniumfabrik ALKEM - unerlaubt betrieben, bzw. Beihilfe zu diesem unerlaubten Betrieb geleistet zu haben. Im Zusammenhang mit der Anklageschrift der Hanauer Staatsanwaltschaft erhob der angeklagte leitende Ministerialbeamte Thurmann schwere Vorwürfe gegen die Staatsanwälte. In seiner persönlichen Einlassung, nach der Verlesung der Anklageschrift durch Staatsanwalt Reinhard Hübner, beschuldigte Thurmann die Anklagevertretung, „Manipulationen“ an den Akten vorgenommen zu haben, die Eingang in die Anklageschrift gefunden haben. Die von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Beweismittel seien durch „Weglassungen, Undeutlichkeiten und falsche Behauptungen“ unzulässig verändert worden. Nur so habe sich der Vorwurf der „Mauschelei“ gegen die Angeklagten konstruieren lassen. Fortsetzung auf Seite 2 In seiner dreistündigen Einlassung führte Thurmann zahlreiche Beispiele für die seiner Auffassung nach „unglaubliche Vorgehensweise“ der Staatsanwaltschaft an. So soll u.a. das Vernehmungsprotokoll des Ministerialbeamten Möller an einer entscheidenden Stelle durch die Staatsanwaltschaft nachträglich korrigiert worden sein. Thurmann warf der Staatsanwaltschaft darüberhinaus vor, mit ihrer Arbeit das Geschäft der Grünen betrieben zu haben. So seien die einzelnen Verfahrensschritte - Einleitung der Ermittlungen, Anklageerhebung und Zulassung der Anklage - mit dem Wahlkampf der Grünen abgestimmt worden. Thurmann: „Immer drei Wochen vor Wahlen rief die Staatsanwaltschaft zur Pressekonferenz.“ Ihm selbst sei bis heute noch nicht klar, wie es überhaupt zu dieser Verhandlung habe kommen können, denn beim Le sen der Anklageschrift habe er seinen eigenen „Tatbeitrag“ nicht entdecken können. Die gesamte Anklageschrift sei im Gegenteil der „massivste Angriff, der je von einer staatlichen Stelle gegen den Staat gerichtet wurde“. Eine „bestimmte politische Ecke“, so die Mutmaßung Thurmanns, dürfte sich „außerordentlich gefreut“ haben über die „Verleumdungen“ der Staatsanwaltschaft. Thurmann wörtlich: „Ich bin deswegen angeklagt worden, weil ich angeblich einer kriminellen Vereinigung angehöre, nämlich dem Staat.“ Der ALKEM–Prozeß wird am Mittwoch mit den Einlassungen der vier anderen Angeklagten fortgesetzt werden. Bis Redaktionsschluß war von der Hanauer Staatsanwaltschaft keine Stellungnahme zu den von Thurmann erhobenen Vorwürfen abgegeben worden. Vor dem Landgericht demonstrierten am Vormittag Mitglieder der „Initiativgruppe Umweltschutz Hanau“ (IUH) und des BBU gegen den Weiterbetrieb der Plutoniumfabrik ALKEM.