„Die Bullen ertragen nicht, wenn wir hier sitzen“

■ Seit sechs Nächten gibt es in Stockholm Randale zwischen Polizei und Jugendlichen / Polizisten provozieren Ausschreitung / Allein vorletzte Nacht gab es 150 Festnahmen / Seit Jahrzehnten geht es rund vor Schulbeginn

Aus Stockholm Reinhard Wolff

Die Plakate der Abendzeitung mit dieser Schlagzeile gehen als erstes in Flammen auf. „Sie sollen ihre Schlacht haben, wenn sie unbedingt wollen.“ Was Alex sagt, scheint einhellige Meinung zu sein hier am Sereels Torg, im Zentrum von Stockholm. Inmitten von scheußlichen Hochhäusern, zwischen Glas und Beton ist der traditionelle Treffpunkt von Jugendlichen, wenn es zu naß oder zu kalt für den Kungsträdsgarden ist, einem Stadtpark in der Nähe. In den letzen Tagen sind diese beiden traditionellen Treffpunkte von den Massenmedien mit Bildern aus dem Bürgerkriegszenario bedacht worden. Seit sechs Tagen gibt es in Stockholm Randale zwischen Polizei und Jugendlichen. Allein in der Nacht zum Dienstag wurden 150 Jugendliche festgenommen, zehn davon waren noch nicht 15 Jahre alt. Die Polizei hatte sie auf einem Friedhof eingekesselt. Doch am Nachmittag ist von der Schlacht nichts zu sehen. Einige spielen auf der Gitarre, man steht in Gruppen, spielt und unterhält sich, hier und da kreist eine Flasche, dazwischen auch schon mal ein Joint. Aber es knistert. Auffällig unauffällig haben sich Zivilpolizisten unter die Jugendlichen gemischt oder versuchen das zumindest. Bereitschaftspolizei wartet einige Straßen weiter. Worauf? Weder Ausrüstung mit Helmen, Schilden und Schlagstöcken noch einige berittene Polizisten deuten wirklich auf eine Schlacht hin. „Die Bullen ertragen es einfach nicht, wenn wir hier herumsitzen. Aber wo sollen wir hin? In die Discos kommst du erst, wenn du 18 bist, alle Vereine und Freizeitclubs haben wegen der Ferien dicht.“ Alex ist es recht, wenn es in dieser Nacht wieder Randale gibt. Am Donnerstag wurde der 17jährige Schüler am U–Bahn–Eingang festgenommen. Die Polizei behauptete, in ihm einen Jugendlichen wiedererkannt zu haben, der im Kungsträdsgarden eine Brandbombe geworfen haben soll. „Kein Wort wahr“, meint Alex. Seit der Nacht auf dem Polizeirevier ist er jeden Tag hier. Alex ist nicht der einzige, der solche Geschichten erzählt. Offenbar wahllos hat die Polizei jede Nacht aus der Menge heraus verhaftet. Diese Willkür hat die Stimmung zusätzlich angeheizt. Es handle sich hier um „Faschisten“, behauptet eine Boulevardzeitung kess. Falsch. Die meisten wissen nur schlicht nichts mit sich anzufangen und kommen aus Familien, die nicht dem Wunschbild der Politiker entsprechen. Die meinen nämlich, daß gefälligst die Eltern dafür zu sorgen haben, daß 14 bis 16jährige Schüler um Mitternacht nicht mehr auf der Straße sind. Ein Katz– und Mausspiel mit der Polizei ist da schon eine willkommene Abwechslung und umso einfacher, als die „Ordnungshüter“ schon sehr schnell die Grenzen der zulässigen Ordnung für überschritten ansehen. Müssen zwei brennende Papierkörbe und etwas laute Musik wirklich gleich einen massenhaften Polizeieinsatz auslösen? Am Sonntag war es jedenfalls so. Von allen Seiten stürzten die martialisch anzusehenden Uniformierten auf die paar hundert Leute. Jetzt, aber erst jetzt, fliegen noch einige mit Benzin gefüllte Flaschen, die morgen wieder der Presse die beeindruckenden Bilder liefern werden. Die in alle Richtungen auseinandergejagten Jugendlichen lassen ihre Wut - Alkohol ist natürlich auch im Spiel - an Autos und Schaufenstern aus. Nur eine Minderheit wird aber so aktiv, die meisten versuchen nur, den wahllos in die Menge reitenden Polizisten auszuweichen und den Schlagstöcken zu entgehen. Eine wilde Jagd durch die umliegenden Straßen beginnt, dabei werden auch drei Autos umgekippt und einige Schaufenster geplündert. Am nächsten Tag wird der Polizeipräsident davon reden, seine Beamten hätten Befehl gehabt, sich nicht provozieren zu lassen. Ihre Aufgabe sei allein gewesen, Gewalttaten zu verhindern. Vor Ort sieht es ganz anders aus. Die Devise scheint zu lauten: Straße säubern und zwar radikal. Zufrieden gibt sich die Polizei erst Stun den später, als tatsächlich weit und breit keine Person „verdächtigen Alters“ mehr in der Innenstadt zu sehen ist. Daß die Stimmung gerade einige Tage vor Schulbeginn am Ende der Ferien etwas höher hergeht, ist seit Jahren altbekannte Erfahrung in Stockholm. Ein pensionierter Sozialarbeiter hat in einem Radiointerview von ähnlichen „Krawallen“ in den letzten 30 Jahren erzählt. Immer habe erst unnötiger Polizeieinsatz zur Eskalation geführt. Er frage sich, warum die Polizei nichts lernen wolle.