Schuldzuweisung am Unglücksort

■ Flugzeugabsturz in München: CSU–Bürgermeister macht Umweltschützer wegen Verzögerung des Flughafenbaus verantwortlich für Tod der Opfer / Berufspilot wollte Lizenz erneuern / Ursache noch ungeklärt

Von Luitgard Koch

München (taz) - Der Absturz einer zweimotorigen Privatmaschine in München–Trudering auf ein „Drive–In“–Lokal von „Mc–Donalds“ forderte gestern ein siebentes Todesopfer. Die Unfallursache konnte bisher noch nicht geklärt werden. Da die Maschine keinen Flugschreiber an Bord hatte, sind die Experten vom Luftfahrtbundesamt Braunschweig auf den Zustand der Wrackteile und ein Tonband mit dem letzten Fluggespräch zwischen Pilot und Flughafentower angewiesen. Ermittlungen von seiten der Staatsanwaltschaft wird es nicht geben, da die Schuld ein deutig bei der Besatzung des Flugzeugs liege. Die sechssitzige Maschine für Geschäftsreisen der Privatfluggesellschaft Lech–Air kam aus Landsberg bei Augsburg und befand sich im Anflug auf den Münchner Flughafen Riem. Der 44jährige Berufspilot sollte einen Übungsflug zur Lizenzerneuerung durchführen und dabei eine sogenannte „Touch and Go“– Übung, nämlich Landeanflug mit Bodenberührung und anschließendem Durchstarten, simulieren. An Bord befanden sich noch ein Prüfer sowie eine weitere Beamtin. 1.700 Meter vom Flughafen entfernt kam die Maschine ins Trudeln, raste auf das Dach des „Mc–Donalds“–Pavillon zu, streifte dabei einen Linienbus und stürzte ab. Lokal und Bus standen sofort in Flammen und brannten völlig aus. Beim Absturz wurde eine Radfahrerin, die an der Kreuzung stand, sofort getötet. Die zwanzig Gäste des Lokals und mit ihnen zehn Angestellte konnten noch rechtzeitig ins Freie flüchten. Auch alle Businsassen, laut Polizeiangaben 15 bis 20 Menschen, konnten sich durch die zerborstenen Fenster des Fahrzeugs retten, erlitten dabei jedoch schwerste Verbrennungen. Die Absturzstelle war nur 100 Meter von einer Tankstelle entfernt. Zu der Diskussion über derartige Übungsflüge sagte ein Sprecher des Luftfahrtbundesamtes, die Check–Flüge seien nicht gefährlicher als andere Flüge auch. Für die örtlichen Politiker von CSU und FDP ist die Katastrophe Anlaß, auf eine baldmögliche Inbetriebnahme des umstrittenen neuen Flughafens München II im Erdinger Moos zu drängen. Münchens zweiter Bürgermeister Winfried Zehetmaier (CSU) erklärte noch an der Unfallstelle: „Jeder ist für den Tod der Opfer verantwortlich, der den Bau des neuen Münchner Flughafens verzögert hat und jetzt noch dagegen ist, daß Riem aufgelöst wird.“ Die Vorstandssprecherin der bayerischen Grünen, Heidi Meinzolt– Depner, bezeichnete es als „zynische Propaganda“, den Umweltschützern eine Mitverantwortung am Unglück zuzuweisen. Pro Stunde starten in Riem etwa 50 Maschinen. Die Bewohner von Trudering leiden nicht nur unter Fluglärm: Beim Überfliegen des Stadtteils werden manchmal Häuser abgedeckt. In den vergangenen 30 Jahren stürzten in der BRD etwa 30 Flugzeuge, vor allem Militärmaschinen, über Wohngebieten ab. Das erste größere Flugzeugunglück in München–Riem ereignete sich 1958, als eine englische Maschine in ein Privathaus raste. 23 Menschen starben. Im Dezember 1960 stürzte eine US– Militärmaschine in der Münchner Innenstadt auf eine Straßenbahn und riß den Turm der Paul–Heyse– Kirche mit sich. 20 Flugzeuginsassen, 33 Fahrgäste der Tram sowie Fußgänger wurden getötet. Dieses Unglück war Auslöser für die Planung des neuen Flughafens im Erdinger Moos.