I N T E R V I E W Streithofen: „Herr Kohl besitzt große Führungs– und Integrationskraft“

■ Der Dominikanerpater Dr. Heinrich Basilius Streithofen, Leiter des gesellschaftswissenschaftlichen Instituts Walberberg, hält enge Kontakte zu CDU–Spitzenpolitikern

taz: Herr Dr. Streithofen, Sie haben in einer kritischen Analyse nach der NRW–Landtagswahl 1985 von der CDU gefordert, Garant prinzipieller christlicher Überzeugungen zu sein. Wenn Sie den aktuellen Streit in der Union um die von der Todesstrafe bedrohten 14 Chilenen betrachten, wer ist für Sie dann Garant christlicher Überzeugungen? Strauß, Geißler oder Blüm? Dr. Streithofen: Alle drei, denn in den Grundsätzen sind sich doch alle in der Ablehnung der Folter einig. Blüm fordert die Zustimmung zur Europäischen Folterkonvention, Strauß und die CSU lehnen die Unterzeichnung ab. Für Strauß ist Folter lediglich eine unfeine Methode, woraufhin Blüm Strauß Zynismus vorwirft. Wo ist da die Einigkeit? Das ist eine unglückliche Formulierung. Er hätte es vielleicht anders sagen müssen, aber ich möchte Herrn Strauß hier ausdrücklich verteidigen, denn daß Folter grundsätzlich schlecht ist, hat auch Herr Strauß gesagt. Strauß ist so gegen Folter wie Sie und ich. Was jetzt von der Jungen Union oder den CDU– Bezirksvorsitzenden in NRW als Schützenhilfe für Blüm gegen Strauß vorgebracht wird, ist doch nichts weiter als wichtigtuerischer, heuchlerischer Theaterdonner. Strauß ist so gegen die Folter wie Blüm selbst. Strauß bezeichnet den südafrikanischen Regierungschef Botha als einen Freund, Blüm sagt genau das Gegenteil: Botha kann nicht unser Freund sein. So auf dem Essener Parteitag. Beide Äußerungen sind mir nicht bekannt. Botha ist aber mein Freund auch nicht. Nur, auch rote Diktatoren können nicht unsere Freunde sein. Auch Honecker nicht. Auch in Bautzen wird gefoltert. Ich halte auch den Elektrozaun in Berlin für eine Foltergrenze. Da werden aber kleine Brötchen gebacken. Die Proportionen stimmen bei dieser Diskussion nicht. Nach Chile oder Südafrika zu fahren und dort auf den Putz zu hauen, ist weitaus einfacher. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Keine Folter, keine Todesstrafe und alles tun, um den 14 Chilenen zu helfen. Nur, in diesem Sommer haben die Politiker buchstäblich die Maßstäbe verrückt. Opportunistisches Gerede beherrschte die Szene statt wirklicher Hilfe. Hätten Sie Herrn Blüm den Rat gegeben, nach Chile zu fahren? Ja, aber anders aufzutreten und nicht vorher schon die Telefonleitungen zu bestellen. Der Mann, der am meisten für Menschenrechte getan hat, am meisten Menschen geholfen hat, die gefoltert worden sind, war und ist Herbert Wehner. Der hat Hunderte herausgeholt - und zwar immer lautlos. Das ist eine Frage der Methode. Wenn ich wirklich Menschen helfen kann, dann kann lautlose Diplomatie - wie Herbert Wehner das im Ostblock gemacht hat - viel nützlicher sein als dieser Sommerklamauk hier in Bonn. Der Streit um die Menschenrechte ist ja nur ein Teilaspekt im Kampf um eine neue CDU–Orientierung. Die von Geißler propagierte Öffnung wird von der CSU bekämpft. Frau Süssmuth bringt mit ihrer Politik - §218 oder AIDS - die CSU regelmäßig zum Kochen. Ich sehe zwischen den beiden Parteien keine grundsätzlichen qualitativen Differenzen. Das ist ein Streit um Methoden, mehr nicht. Bei der Frage nach §218 halte ich die gesamte CDU für heuchlerisch. Die führenden Kräfte der CDU wollen keine Veränderung und machen nur den Kirchen was vor. Prof. Rohrmoser hält die Geißler–Strategie dann für konsistent, wenn gleichzeitig der CSU die bundesweite Ausbreitung gestattet wird. Davon halte ich gar nichts. Die menschlichen Ressourcen, die politischen Begabungen sind von den klassischen Parteien, aber auch von den Grünen inzwischen aufgesaugt. Eine neue Partei rechts von der CDU bekommt nicht einmal anständige Kreisgeschäftsführer. Die bekommen nur Querulanten, Sektierer, die aus anderen Parteien ausgeschieden sind. Schon aus diesem Grund ist eine Ausdehnung der CSU und umgekehrt der CDU nach Bayern nicht möglich. Das sind alles Träumereien. Herr Prof. Rohrmoser ist ein Endzeitprophet, einer, der die Konservativen in der jetzigen Konstellation untergehen sieht. Das finde ich überhaupt nicht. Die größte Fehleinschätzung leistet sich Herr Rohrmoser in bezug auf Bundeskanzler Kohl. Auch wenn es nach außen nicht so scheint, Herr Kohl besitzt eine große Führungs– und Integrationskraft. Da liegt Herr Rohrmoser als Prophet total falsch. Derjenige, der die CDU zusammenhält, ist nicht Herr Geißler, sondern Herr Kohl. Für Personen wie Frau Süssmuth, Herrn Töpfer oder Herrn Fink scheint Kohl nicht gerade der passende Parteivorsitzende zu sein. Ohne Herrn Kohl wären sie alle weg. Lassen Sie sich doch von den Medien nicht verblenden. Frau Süssmuth und Herr Töpfer sind Begabungen für bestimmte Sektoren, mehr nicht. Im Adenauerhaus gibt es nicht unwichtige Leute, die Wetten darauf anbieten, daß es in Baden–Württemberg, sollte Späth seine absolute Mehrheit verlieren, zu einer großen Koalition kommt. Hat die CDU inzwischen die Nase von der FDP voll? Ob das im Adenauerhaus allein so ist, weiß ich nicht. Man hört es in Bonn. Es gibt Gedankenspiele für eine große Koalition, aber daß sie durchsetzbar ist, glaube ich nicht. Dafür ist Herr Späth zu schwach. Herr Streithofen, Sie haben 1985 die NRW–CDU aufgerufen, einen glaubwürdigen Mann an die Spitze zu berufen. Inzwischen führt Norbert Blüm die fusionierte NRW–CDU. Ist Blüm Ihr Traummann? Ja. Schlicht und einfach ja. Wie das? Sie gelten als jemand, der gegen Linkstendenzen in der CDU wettert. Blüm zählt nicht gerade zu den Konservativen bei den Konservativen. Was heißt hier Linkstendenzen. Ich bin etwa in der Frage der paritätischen Mitbestimmung anderer Auffassung als Blüm, aber Blüm ist Mitglied im Kuratorium unseres Instituts. Wir sind seit Jahrzehnten Freunde und mögen uns. Auch wenn ich mit ihm nicht immer einer Meinung bin, halte ich ihn geradezu für den idealen Vorsitzenden in NRW. Ein Mann mit einer ungeheuren Integrationskraft, keine Tiefkühltruhe, kein Professor, sondern ein Mann zum Anfassen. Interview: Walter Jakobs