Unkraut und Schädlinge gedeihen prächtig

■ Schlechte Witterung verzögert Ernte / Qualitäts– und Preiseinbußen durch Schädlinge und Auswuchsschäden / Getreide kann vielfach nur noch zur Fütterung verwendet werden / Von Strahlenschäden will der BBV nichts wissen

Von Luitgard Koch

Reichertshausen (taz) - „Wir machen eine Erntefahrt, und schon bessert sich das Wetter“, tönt es über Mikrophon, als sich der Bus vor der Münchner Zentrale des Bayerischen Bauernverbandes (BBV) in Bewegung setzt. Und tatsächlich, der BBV hatte zur Pressefahrt geladen, um auf die miserable Situation der Bauern bei der Getreideernte aufmerksam zu machen, und schon strahlte seit langer Zeit zum ersten Mal wieder die Sonne vom leicht bewölkten Himmel. Doch nach dem Motto „Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer“, hilft auch ein Sonnenstrahl den Bauern momentan wenig. Da der Boden von den wochenlangen Regenfällen aufgeweicht ist, können sie ihre Felder mit den schweren Erntemaschinen derzeit nicht befahren. Schon jetzt hat sich die Getreideernte deshalb um drei Wochen verzögert. So müßte etwa die Wintergerste, mit der die Ernte beginnt, längst eingebracht sein. Die Ähren sind vielfach abgeknickt, die Halme beginnen zu faulen. Aus den überreifen Körnern treiben neue grüne Keime. In den abgeknickten Ähren bilden sich keine neuen Körner mehr. „Schrumpfkorn“, nennen es die Agrarexperten im Fachjargon. Das Getreide taugt nur noch zur Fütterung. „Da drüben hätt ma no a Nasn voll nehma solln“, meint der Oberpfälzer Bezirksverbandspräsident Richard Koch, als die Pressemannschaft nach der ersten Station, einem Gerstenfeld kurz vor Garching, wieder im Bus sitzt. Doch seine Kollegen beruhigen ihn. Im Landkreis Pfaffenhofen erwarten die Journalisten noch genügend Demonstrationsobjekte. Irritiert sind die Verbandsfunktionäre, daß an diesem sonnigen Vormittag noch keiner ihrer Bauern die Chance zur Feldarbeit nützt. „Gestern is ma da Mähdrescher beim Raps varreckt“, erzählt Bauer Johann Limmer aus Klenau den Journalisten bei der Besichtigung seiner Felder. Der Rapsanbau wurde den Bauern als Alternative angesichts der hohen Getreideüberschüsse empfohlen. Doch auch der Raps macht den Bauern dieses Jahr keine Freude. Die Schoten brechen auf, und die Körner beginnen bereits auszufallen. Gegen das Wetter aber gibt es keine Versicherung. „Gell, versichern können Sie sich nur gegen Hagel“, meint eine Rundfunkjournalistin im modernen Jeanstrachtenlook bedauernd. „Wenns no grad hageln daad, na war wenigstens a Ruah“, knirscht der etwas wortkarge Bauer, 32 Hektar bewirtschaftet er, in ihr Mikrophon. Doch die wenigsten Bauern sind gegen Hagel versichert. Tief in die Tasche greifen müssen die Bauern auch für die Trocknung: fast fünf Mark pro Doppelzentner Wintergerste. Aber nicht nur dem Getreide und Raps macht das schlechte Wetter zu schaffen. „Bei den Kartoffelbeständen tritt Stengelfäule auf, wie man sie bisher noch nicht gekannt hat“, weiß Koch. Schuld daran sei angeblich ein afrikanischer Erreger. „AIDS“, schreit jemand nach vorne. „Ja Kartoffel– AIDS“, witzelt Koch. Unkraut und Schädlinge gedeihen auf jeden Fall prächtig. Die Felder sind vielfach von grünem Klettenlabkraut überwuchert. Auf den Ähren haben sich die verschiedenen Pilze ausgebreitet. Ährenmehltau und Spelzenbräune sind die Folge. Mit welchen Mitteln die Schädlinge bekämpft werden, damit rückt der Präsident nicht gerne raus. Da sich die Zusammensetzung der Spritzmittel von Jahr zu Jahr ändere, habe er die Namen nicht im Kopf. „Wir wollen keineswegs, daß unsere Bauern zu viel spritzen“, betont Klaus Bauer vom Pfaffenhofener Landwirtschaftsamt, als wir durch die Felder des Musterbetriebs von Bauer Limmer stapfen. „De Quecksilberbeize hams uns verboten, de Narrn“, bedauert Koch. Seiner Meinung nach ist der Pilz auf der Ähre giftiger als das bißchen Schwermetall zur Bekämpfung des Pilzes, das seit 1984 aus dem Verkehr gezogen wurde. Von einer Strahlenbelastung des Getreides will der BBV schon gar nichts wissen. Weder im Vorjahr noch heuer spielen die Becquerels seiner Ansicht nach eine Rolle. Nach Messungen des Münchner Umweltinstituts ist Bauernbrot mit hohem Roggenanteil immer hin noch mit rund 30 Bq belastet. Für die diesjährige Ernte liegen noch keine Messungen vor. Für die Bauern geht die Rechnung dieses Jahr auf keinen Fall auf, so der BBV. 9,9 Millionen Tonnen Getreide werden die Landwirte 1987 voraussichtlich einfahren. Im Vergleich zum Rekordjahr wäre dies ein Verlust von einer Million Tonnen. Gleichzeitig ist der Preis pro Doppelzentern Weizen um zehn Mark gesunken. Der Verbraucher jedoch wird davon nichts merken. „Sie können das Mehl verschenken, am Semmelpreis ändert sich nichts“, meint Koch beim abschließenden Essen im Biergarten. Und da auch der Bierpreis stabil bleibt, neun Pfennig pro Liter bekommt der Bauer für Braugerste und Hopfen, wird es in Bayern weiterhin heißen: Es herrscht Ruhe im Land.