Jesse Jackson for President?

■ 1984 hatte er sich vergeblich um die Nominierung als demokratischer Präsidentschaftskandidat beworben, nächstes Jahr wird er es voraussichtlich noch einmal versuchen / Zwar will er sich diesmal nicht auf die „Regenbogenkoalition“ beschränken, doch seine Chancen bleiben gering - nicht nur wegen seiner Hautfarbe

Aus Washington Martin Kilian

Er fährt, eine Baseballmütze auf dem Kopf, hoch oben auf dem Traktor, schüttelt weißen Farmern die Hände oder läßt sich beim Melken einer Kuh ablichten: Vorbei sind die Zeiten, als Jesse Jackson sich als Symbolfigur schwarzen politischen Aufbegehrens und schwarzer Ansprüche in Szene setzte. Stattdessen möchte Jackson, entfant terrible amerikanischer Politik und wahrscheinlich Kandidat für die Präsidentschaftsnominierung der Demokratischen Partei, ausgreifen und sich bei den im Januar 1988 beginnenden innerparteilichen Vorwahlen nicht als Kandidat des schwarzen, sondern als Vertreter des zu kurz gekommenen Amerika präsentieren. Jackson, der schwarze Prediger, hat aus seinen Erfahrungen im Vorwahlkampf 1984 gelernt. Damals erhielt er wohl 90 Prozent der schwarzen, doch nur ein Fünftel der weißen Stimmen. Weiße Demokraten verdächtigten Jackson gar, die Partei mit seinen radikalen innen– wie außenpolitischen Forderungen ruinieren zu wollen. Noch heute wirft der damalige Präsidentschaftskandidat Walter Mondale Jackson vor, entscheidend zur Niederlage der Demokratischen Partei bei den Präsidentschaftswahlen 1984 beigetragen zu haben. Über die Regenbogenkoalition hinaus Jetzt, drei Jahre später, hat Jackson seine Kandidatur zwar noch nicht erklärt, alle Anzeichen aber sprechen dafür, daß er es erneut versuchen wird. Unter anderen Vorzeichen jedoch: 1984 machte der Bürgerrechtler Geschichte, wurde der erste ernst zu nehmende schwarze Präsidentschaftskandidat der amerikanischen Geschichte und mobilisierte das schwarze Amerika damit. Schlecht organisiert, improvisiert und zuweilen chaotisch war sein Wahlkampf, und statt über eine in den Vereinigten Staaten so wichtige Wahlkampfmaschine mit ihren Meinungsbefragern und PR– Experten verfügte Jackson lediglich über den Enthusiasmus seiner „Regenbogen–Koalition“, die Teile des linken Amerika mit dem schwarzen Amerika vereinte und durch Begeisterung wettzumachen versuchte, was ihr an Geld und Erfahrung fehlte. An Geld fehlt es auch diesmal, die Aus gangssituation aber hat sich verändert: Es existierten „andere politische Erwartungen“, und das wiederum bedeute eine Ausweitung auf zusätzliche Zielgruppen, sagt Jackson. Tatsächlich fallen die Unterschiede zwischen 1984 und 1988 sofort ins Auge, denn Jackson ist besser auf den harten und langen Vorwahlkampf vorbereitet. Und anders als 1984 bewegt er sich kalkuliert auf die politische Mitte zu, ist weniger auf Schockwirkung bedacht. Neben seiner schwarzen Klientel möchte Jackson auch jene in der Demokratischen Partei ansprechen, denen die Reagan–Jahre wenig Gutes beschert haben, möchte eine Koalition von hartbedrängten Farmern, Gewerkschaftern und den Resten der weißen Linken zusammenschweißen. Seit seinem Zusammenstoß mit dem amerikanischen Judentum während des Wahlkampfes 1984 hat Jackson versucht, neue Kon takte zur jüdischen Gemeinschaft zu knüpfen, um den Vorwurf des Antisemitismus zumindest zu neutralisieren. Radikalen schwarzen Nationalisten und Black Muslims ist nicht verborgen geblieben, daß Jackson neuerdings mit seiner Kritik an den israelisch– amerikanischen Beziehungen zurückhält und seine Solidarisierungsbekundungen mit der Dritten Welt seltener geworden sind, ihre Distanzierung aber kann dem Kandidaten Jackson nur nützen. Denn nicht mehr Kandidat des schwarzen Amerikas möchte Jackson im nächsten Jahr sein, sondern Bewahrer einer populistischen Tradition innerhalb der Demokratischen Partei, ein Sprachrohr für jene, die dem Partei– Establishment nicht trauen und zu Recht vermuten, die Partei wolle sich dem Klima der Reagan–Ära anpassen und so die Wahlen 1988 gewinnen. Jackson polarisiere die Partei weniger als vor vier Jahren, sagt Paul Kirk, Parteigeschäftsführer und Vorsitzender des Demokratischen Nationalkomitees. Fast, so Kirk, klinge er wie die anderen sechs Kandidaten. Das allerdings ist eine Übertreibung, vielleicht auch Wunschdenken, denn obwohl Jackson seine Sprache etwas gemäßigt hat und nicht mehr wie früher mit Lust alle Tabus amerikanischer Politik verletzt, sticht der Prediger mit seinen außen– wie innenpolitischen Überzeugungen weit aus dem Feld der Kandidaten heraus. Als einziger unter ihnen fordert Jackson eine Neuorientierung der amerikanischen Politik im Nahen Osten mit dem Ziel eines palästinensischen Staates, möchte er umfassende Abrüstung und ein Ende des amerikanischen Eingreifens in Zentralamerika und Angola. Nicht minder umstritten sind Jacksons gesellschaftliche Umverteilungsstrategien, sein Beharren auf einer gerechteren amerikanischen Gesellschaftsordnung, in der die Lasten besser zu verteilen wären. Die Suche nach der Mitte So loben Paul Kirk und das Establishment der Partei zwar den „neuen“ Jackson, am glücklichsten indessen wären sie, wenn Jackson nicht mehr kandidierte. Jackson, so schreibt der einflußreiche Politologe und Publizist William Schneider, bedrohe das Partei–Establishment, weil er Probleme angehe, die andere Politiker tunlichst mieden. Besonders brisant und problematisch für die Demokratische Partei ist Jacksons neuerlicher Griff nach dem höchsten Amt, weil die Demokratische Partei im Moment nach ihrer Seele sucht und eine Wiederholung der Debakel von 1980 und 1984 verhindern will. Deshalb, so fordern Zentristen und Konservative, dürfe die Partei nicht mehr dem Zugriff einzelner und zudem höchst negativ besetzter Interessengruppen, Gewerkschaften und Feministinnen etwa, ausgesetzt werden, sondern sie müsse sich klar für jenen Ort entscheiden, wo die meisten Stimmen zu holen sind: die politische Mitte nämlich. Treibende Kraft hinter dieser Neuorientierung ist der Democratic Leadership Council (DLC), eine Vereinigung zentralistischer und konservativer Demokraten, deren politische Basis in den Südstaaten liegt. Dort, wo die Partei ein Jahrhundert lang in einer Einparteienlandschaft unangefochten regierte, waren sowohl 1980 als auch 1984 die weißen Mittelschichten ins republikanische Lager abgewandert, und die DLC– Politiker, unter ihnen Senator Sam Nunn (Georgia) sowie die Präsidentschaftskandidaten Richard Gephardt und Bruce Babitt, wollen die Partei für diese Wähler und Wählerinnen wieder attraktiv machen. Geht es nach ihnen, dann muß die Partei sich aus der Umarmung der Randgruppen befreien und mehr dem Wertekatalog konser vativer Südstaatler entsprechen - nur so sei der republikanische Vormarsch im Süden aufzuhalten. Um sich und einen erfolgversprechenden Präsidentschaftskandidaten zu lancieren, drang das DLC auf die gleichzeitige Abhaltung der parteiinternen Vorwahlen in vierzehn südlichen Bundesstaaten - der sogenannte „Superdienstag“ soll den Einfluß des Südens innerhalb der Partei stärken und gleichzeitig verhindern, daß ein liberaler Kandidat sich bereits nach den ersten Vorwahlen im mittwestlichen Iowa und dann im Neuenglandstaat New Hampshire durchsetzt. In beiden Staaten ist die Zahl demokratischer Wähler und Wählerinnen klein, in beiden Staaten entscheiden vornehmlich Parteiaktivisten liberaler Couleur den Ausgang der Vorwahlen. Deshalb also der „Superdienstag“, an dem ein volles Drittel der Delegiertenstimmen für den Nominierungsparteitag vergeben wird. Die Chance des Populisten Nicht bedacht hatten die DLC–Demokraten indessen, daß die weiße Vorwahlbeteiligung im Süden seit Jahren nachläßt und weiße Wähler sowohl 1980 als auch 1984 den demokratischen Vorwahlen in Scharen den Rücken kehrten und sich stattdessen am republikanischen Wahlgang beteiligten. Da es innerhalb der Republikanischen Partei überdies einen heißen Kampf um die Nachfolge Ronald Reagans geben wird, dürften viele konservative Demokraten und Wechselwähler von vornherein auf die Teilnahme an den demokratischen Vorwahlen verzichten. Apathie und das Bewußtsein weißer Südstaatler, daß ihre Interessen besser bei der Republikanischen Partei aufgehoben sind, könnten nun eine einmalige Situation an jenem „Superdienstag“ schaffen: Gelingt es Jackson, die schwarze Bevölkerung des Südens wie 1984 zu mobilisieren und das populistische weiße Element der Südstaaten anzusprechen, dann stände Jackson am Ende als Gewinner des „Superdienstags“ da, während sich die anderen Kandidaten die konservativen und zentristischen Stimmen teilten - ein Alptraum für das DLC und das Partei–Establishment, doch nicht auszuschließen. Denn Jackson ist ein Populist reinsten Wassers, ein Vertreter jener amerikanischen politischen Strömung, die nicht in das Rechts–Links–Schema paßt, weil sie gesellschaftspolitisch konservativ ist, in der Wirtschafts– und Außenpolitik hingegen durchaus radikale Vorstellungen hat. Immerhin ist Jesse Jackson nicht nur ein Politiker, sondern auch Pastor einer Kirche, und er lebt aus einer schwarzen Tradition heraus, die sich nicht am Liberalismus oder gar am Marxismus, sondern an judeo–christlichen Vorstellungen orientiert. Und gerade im Süden, wo der Populismus um die Jahrhundertwende beachtliche Erfolge zu verzeichnen hatte, ist durchaus möglich, daß sich Jacksons Traum vom „Regenbogen“, von einer Koalition von Schwarzen, Gewerkschaftern, Bauern und weißen Alternativen und Linken, erfüllen wird. Um innerhalb des Vorwahlkampfes und dann auf dem Präsidentschaftskongreß der Demokraten in Atlanta eine wichtige Rolle zu spielen, muß es Jackson allerdings gelingen, seine schwarze Klientel bei der Stange zu halten. 1984, als er sich zu seinem historischen Versuch aufmachte, war das einfach; mittlerweile aber hilft die Faszination des Neuen kaum noch und gibt es in Amerikas afro–amerikanischer Gemeinschaft Stimmen, die vor einer neuerlichen Jackson–Kandidatur warnen. Jesse Jackson, so schrieb der schwarze Journalist Juan Williams vor kurzem in der Washington Post, sei nicht ins Präsidentenamt wählbar, minderte aber die Chancen von besser qualifizierten schwarzen Politikern und ließe Amerikas Schwarze am Ende ohne jeden Einfluß auf den Wahlausgang zurück. Deshalb solle die schwarze Wählerschaft ihr politisches Potential lieber hinter einen der weißen Kandidaten werfen, ihm ihre Unterstützung sichern und dafür Gegenleistungen aushandeln. Wäre Jackson weiß... Solcher Realismus hat Berechtigung, denn Jesse Jackson wird die Präsidentschaftsnominierung der Demokratischen Partei kaum gewinnen; und noch kleiner sind die Aussichten auf einen Präsidenten Jesse Jackson. Wäre Jackson weiß, sähe alles etwas anders aus, doch Jackson ist schwarz, und einen schwarzen Präsidenten wird Amerika in diesem Jahrhundert wohl kaum sehen. Ob Jacksons Pressesprecher Frank Watkins recht hat, wenn er sagt, nur die Hautfarbe trenne Jackson vom Weißen Haus, ist fraglich; immerhin schlagen keinem amerikanischen Spitzenpolitiker so starke Ressentiments entgegen wie Jackson, und zum Teil sind diese Ressentiments gewiß eine Antwort auf Jacksons politische Überzeugungen. Ein amerikanischer Politiker, der Jassir Arafat, Fidel Castro und Daniel Ortega umarmt hat, gilt als Außenseiter und muß mit scharfen Reaktionen und erheblichen Anfeindungen rechnen. Das demokratische ParteiEstablishment kann es sich andererseits kaum leisten, Jackson zu verprellen. Denn wird der schwarze Kandidat von seinen Konkurrenten während der Vorwahlen zu hart angegangen, besteht die Gefahr, daß Jackson am Ende als unabhängiger Präsidentschaftskandidat in den Ring steigt und damit alle Chancen des demokratischen Präsidentschaftskandidaten - wer immer dies auch sein wird - zerstört. Ausschließen möchte Jesse Jackson einen solchen Schritt nicht, doch lieber wäre ihm wohl ein gutes Abschneiden bei den Vorwahlen und damit eine auf ihn eingeschworene Delegiertenschar. Ist sie groß genug und gelingt es keinem der anderen Kandidaten, bei den Vorwahlen eine klare Mehrheit der Delegiertenstimmen zu erringen, könnte Jackson sich, sofern er diskret vorgeht, auf dem Parteikongreß als Königsmacher profilieren, könnte für seine Wählerschaft zuerst einiges herausschlagen und dann seine Delegierten hinter einen anderen Kandidaten werfen. Für Jesse Jackson und die Demokratische Partei verspricht 1988 ein überaus interessantes Jahr zu werden. S Z E N E K A L E N D E R