Auf Fort „Reduite“ wird scharf geschossen

■ Am Untern Eselsberg in Ulm werden 300.000 Schuß pro Jahr von Amts wegen abgegeben / Hier kommt der Waffen–TÜV seiner explosiven Aufgabe nach, Handfeuerwaffen bis hin zu antiken Büchsen vor Gebrauch zu prüfen

Von Dietrich Willier

Stuttgart (taz) - Seit nun fast dreißig Jahren blitzt, kracht und stinkt es nach Pulverdampf im Fort am Untern Eselsberg, der „Reduite“ in Ulm. Hundert Jahre lang hatte es das nicht gegeben. Da konnte ein 70er Krieg, ein Erster und ein Zweiter Weltkrieg drübergehen, da konnte 1944 Ulm zerbombt in Schutt und Asche liegen, vom Eselsberger Fort aus fiel kein Schuß, kein Treffer kratzte je die zwei Meter dicken Mauern. Und doch, seit 29 Jahren wird hier, am Rande einer Siedlung des sozialen Wohnungsbaus, geballert, was die Rohre halten. Grad so, als gelte es, das alles nachzuholen: 300.000 Schuß im Jahr, rund zehn Millionen insgesamt. Mitte des vergangenen Jahrhunderts nahm die Geschichte ihren Lauf. Die Ulmer in ihrer freien Reichsstadt hatten noch die Schnauze voll von Napoleon und den Franzosen, die Ulm und darin die Österreicher belagert, geschlagen und dann die alten Festungen geschliffen hatten. Damals also kam ein Herr Prittwitz aus Preußen nach Ulm. Er war Architekt und Festungsbauer. Und Herr Prittwitz baute Festungen rund um Ulm, einen Kanonenschuß weit die eine von der anderen entfernt. Doch was Prittwitz übersah: Die Waffentechnik schritt voran. Kaum fertiggestellt, waren die Festungen für niemanden mehr ein rechtes Hindernis und blieben fortan ungenutzt. Kaum 100 Jahre später nämlich, das elfjährige Reich und sein Weltkrieg waren grad zu Ende gegangen, altbekannte Waffenproduzenten wie „Anschütz“, „Krieghoff“ und „Walther“ siedelten nach Ulm, die Alliierten hatten einer Lockerung des Verbots der Herstellung von Handfeuerwaffen zugestimmt und beschlagnahmte Waffen freigegeben, da trat ein „Gesetz über die Prüfung von Handfeuerwaffen und Patronen“(Jahrgang 39) wieder in Kraft. Wer also „Handfeuerwaffen, Böllerkanonen, Einsteckläufe oder Austauschläufe einführt oder sonst in den Geltungsbereich dieses Gesetzes verbringt oder herstellt, hat sie durch Beschuß amtlich prüfen zu lassen“, erklärt der stellvertretende Leiter des Ulmver „Beschußamts“ Gordon Sommerfeld. Seit 30 Jahren kracht es hinter den Mauern der „Reduite“, dem Beschußamt. Pistolen, Revolver, Carabiner, neue und antike Büchsen aller Art, selbst Böllerkanonen werden hydraulisch in einen Abschußapparat eingespannt. Hydraulisch schließt sich ein schußsicherer Deckel und der Schuß wird gelöst. Früher, der dickgepolsterte Abschußraum ist voller Einschlaglöcher, war das noch anders. Beamte versteckten sich außerhalb des Raums und lösten den Schuß mittels Schnur aus. Das Handwerk, sagt Gordon Sommerfeld, habe Tradition. Schon vor 600 Jahren wurden Büchsen, Kanonen und Geschütze vor ihrem Einsatz geprüft. Schließlich waren die Büchsenmeister nicht nur für das Bauen, sondern auch für das Abfeuern ihrer Kanonen zuständig. Und deren Sorge, der Schuß könne im Ernstfall nach hinten losgehen, war berechtigt. Denn „beschossen“ wird heute vom Waffen–TÜV mit Munition, die um ein Drittel stärker ist als handelsüblich. Ohne diesen Waffen–TÜV dürfen hierzulande Sport– oder Jagdwaffen weder gehandelt noch benutzt oder besessen werden. Ein Prägestempel bürgt für Qualität von Schloß und Lauf, auch bei selbstgebastelten oder antiken Waffen. Waffennarren, meint Sommerfeld, seien die Beamten des Amts deshalb zwar nicht, aber nur zwei der sechzehn Mitarbeiter gehen weder zur Jagd noch in einen Schießverein. Eine dritte Aufgabe des Waffen–TÜV besteht darin, Material und Objekte zu beschießen. Kunde ist die Landespolizeidirektion, aber auch Hersteller schußsicherer Fenster oder Türen. Getestet wird in einer Art künstlicher Tropfsteinhöhle. Die Anlage ist verrostet, auf dem Boden steht das Wasser, an der Decke hängen Stalaktiten. Unzumutbar findet das Herr Sommerfeld. Zum Jahresende ist ein Umzug fällig. Über die Sicherheit von Bundeswehr– und Polizeiwaffen und alles andere, womit außerhalb deutschen Hoheitgebiets geschossen wird, weiß der Ulmer Waffen–TÜV allerdings nichts: „Die prüfen ihre Waffen selbst oder gar nicht.“ In den Vitrinen des TÜV liegen die beim Test geborstenen Waffen. Da fehlt einem Trommelrevolver das halbe Magazin, einer alten Flinte war beim Test der Lauf zerrissen, und selbst eine dicke Böllerkanone hatte sich beim TÜV in faustgroße Splittergranaten aufgelöst. Einen kriminalistischen Nebeneffekt, so Sommerfeld, habe die Tätigkeit der Beschießer auch: Jede Waffe, die je das Ulmer Amt durchlief, ist registriert, ihre Herkunft läßt sich auch noch nach Jahren rekonstruieren. Draußen ist von all dem nichts zu hören und zu sehen. Kaum jemand in Ulm und auf dem Eselsberg kennt dieses Amt.