Den kleinen Mädchen Mut machen

■ Erfolgversprechendes amerikanisches Modell zur Verhütung von sexuellen Übergriffen an Kindern: Ermutigung zum „Nein“–Sagen im Rahmen des Schulunterrichts / Wann gibt es ein solches Projekt hierzulande?

Von Bettina Markmeyer

„Die Arbeit von CAP hat mich total begeistert“, sagt Elisabeth Fey, Psychologin aus Bielefeld, die sich auf die Behandlung von Frauen und Männer spezialisiert hat, die Opfer eines sexuellen Mißbrauchs waren. „Ich habe mir vorgenommen, sie in der Bundesrepublik bekannt zu machen.“ Das CAP–Projekt (Child Assault Prevention, Projekt zur Verhütung von Übergriffen an Kindern) wurde 1979 in den USA gegründet. Die Mitarbeiterinnen von CAP gehen in die Schulen und veranstalten Workshops mit den Eltern, dem Schulpersonal und schließlich mit den Kindern und Jugendlichen. Bevor der Kinder–Workshop stattfindet, der etwas länger als eine Schulstunde dauert, werden die Erwachsenen detailliert über die Arbeit von CAP und über sexuellen Mißbrauch allgemein informiert. Auf diese Weise erarbeiteten sich die Mitarbeiterinnen die Zustimmung der Eltern: 80 bis 90 Prozent befürworten ausdrücklich, daß ihre Kinder an einem CAP–Workshop teilnehmen. Bis die CAP–Mitarbeiterinnen soweit waren, hatten sie große Hindernisse zu überwinden. „Wer sind Sie überhaupt?“ wurden sie gefragt, als sie in den Schulen Unterrichtsstunden für ihre Arbeit wollten. Vielleicht schwang auch die Angst, die Kinder zum Ungehorsam zu erziehen, mit - am Anfang jedenfalls blieben ihnen die Schultore verschlossen. Aber die CAP–Mitarbeiterinnen gaben nicht auf, sondern machten Workshops mit den Eltern. Erfolgreich, denn diese Eltern forderten anschließend von der jeweiligen Schulleitung solche Workshops für ihre Kinder. Safe, strong and free Das Konzept, sexuellen Mißbrauch bereits vor der Tat zu verhindern oder wenigstens zu erschweren, geht über die bisherige Praxis der strafrechtlichen Verfolgung und der nachträglichen Opferbetreuung weit hinaus. Es beruht auf der Stärkung potentieller Opfer, also der Kinder, durch Informationen und gezieltes Training. Inzwischen haben etwa eine Million Kinder in Kanada und den USA an CAP–Workshops teilgenommen. Damit soll der Informationsgrad der Kinder verbessert und ihr Selbstbewußtsein gestärkt werden. „Safe, strong and free“ (Sicher, stark und frei) lautet der CAP–Slogan, der während der Workshops mehrmals wiederholt wird und zu so etwas wie einem Markenzeichen von CAP geworden ist. „Mein Kind hat aber zu gehorchen, wenn Erwachsene etwas von ihm verlangen“. Diesem Einwand mancher Eltern begegnen wir, indem wir ihnen klarmachen, daß ein allzu gehorsames Kind sich auch dann nicht widersetzen wird, wenn der liebe Onkel von nebenan sexuelle Handlungen von ihm verlangt“, erzählt Ellie Kuehn–Kaastra, die für die CAP an verschiedenen Schulen in Ohio arbeitet. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Laura Kagy hielt sie in Bielefeld auf Einladung von Elisabeth Fey zwei Wochenendseminare zur Präventionsarbeit gegen sexuellen Mißbrauch ab. Über 120 Frauen aus der Bundesrepublik, der Schweiz, Dänemark und Österreich kamen. Sie alle wollen im Beruf oder im Rahmen ehrenamtlicher Arbeit die CAP–Methoden anwenden. Denn anders als in der Opfer–Betreuung und der strafrechtlichen Verfolgung gibt es im Bereich der Vorbeugung gegen sexuellen Mißbrauch in der Bundesrepublik bis heute keine praktischen Ansätze. Das Bielefelder Seminar war das erste seiner Art. Die Teilnehmerinnen lernten, wie sie einmal selbst - wenn die organisatorischen Voraussetzungen dafür geschaffen sind - Workshops für Kinder und Erwachsene anbieten könnten. Das Onkel–Harry–Geheimnis In den CAP–Workshops für kleinere Kinder stehen drei Rollenspiele im Mittelpunkt. Im ersten Rollenspiel nimmt ein älteres Kind einem jüngeren sein Geld fürs Schulessen ab, im zweiten versucht ein Fremder, einen Jungen unter einem Vorwand von seinen Spielkameraden wegzulocken, und im dritten und schwierigsten Spiel macht Onkel Harry sich an seine achtjährige Nichte Sheila heran. Er faßt sie überall an und verspricht ihr Belohnungen, wenn sie ihn küßt. Die verängstigte Sheila gehorcht und muß ihrem Onkel versprechen, niemandem von dem „Geheimnis“ zu erzählen. „Während des Onkel–Harry– Rollenspiels kannst du in der Klasse eine Stecknadel fallen hören“, erzählt Ellie Kuehn– Kaastra. „Auch kleine Kinder begreifen genau, was vor sich geht. Sie spüren die Bedrohung durch den Onkel und sehen, daß das Onkel–Harry–Geheimnis ein schlechtes Geheimnis ist.“ Nach einer Besprechung des Gesehenen spielen die Kinder selbst die bedrohlichen Situationen in einer zweiten, erfolgreichen Variante. Sie lernen, Abstand zu halten und Tricks zu erkennen, sie sagen „nein“ zu dem Angreifer. Vor allem schweigen sie nicht länger über das, was ihnen passiert ist. Die Leiterin des Workshops zeigt ihnen einfache und kinderleichte Selbstverteidigungsmethoden und ermuntert sie, sich bei anderen Kindern und vertrauenswürdigen Erwachsenen Hilfe zu holen. Im Alter von 13 Jahren werden Mädchen und Jungen während eines Workshops getrennt. Die Unterschiede zwischen ihnen sind aufgrund der unterschiedlichen Sozialisation nun schon erheblich. Zum Thema „sexueller Mißbrauch“ kommt das Thema „Vergewaltigung“ hinzu. „Mädchen müssen erst lernen, wo ihre Rechte anfangen, und Jungen müssen lernen, wo ihre Rechte aufhören“, faßt Laura Kagy die Ergebnisse von 13 Jahren geschlechtsspezifischer Erziehung zusammen. „Wir setzen eine Stunde gegen diese 13 Jahre. Dennoch löst unser Workshop eine Menge aus. Vor allem die Jungen sprechen oft zum ersten Mal über Vergewaltigung und Mißbrauch und ihre Rolle dabei.“ Die Jungen zeigten nur wenig bzw. kein Einfühlungsvermögen und seien erstaunt darüber, daß Mädchen bei einem sexuellen Übergriff Angst und Ekel empfinden. „Wir wissen überhaupt nicht, wie das für ein Mädchen ist“, äußerten sie häufig in den Workshops, so Laura Kagy. In Zusammenarbeit mit dem Kinderschutz–Zentrum in Gütersloh will Elisabeth Fey (solche Zentren, die sich von Einrichtungen des Kinderschutz–Bundes unterscheiden, gibt es in sechs bundesdeutschen Städten) ihre Arbeit auf eine breitere Grundlage stellen. Das Zentrum hat inzwischen bei Stiftungen und dem Land NRW ein Modellprojekt mit insgesamt neun Stellen beantragt, das mindestens vier Jahre laufen und von zwei MitarbeiterInnen wissenschaftlich begleitet werden soll. Erste Entscheidungen werden frühestens Ende September erwartet. Fallen sie positiv aus, könnte bereits im Frühjahr 1988 die praktische Arbeit im Präventionsbereich beginnen: das erste CAP–Projekt in der Bundesrepublik. Kontakt: Verein zur Prävention von sexuellem Mißbrauch an Mädchen und Jungen, (E. Fey, U. Enders), Oberntorwall 14, 48 Bielefeld 1