Südkoreas Gewerkschaften

■ Explosionsartige Zunahme spontaner Streiks seit Juli / Trotz massiver Repression ist eine neue Arbeiterbewegung entstanden

Seit der designierte Präsidentschaftskandidat der südkoreanischen Regierungspartei, Roh Tae Woo am 29.Juni nach wochenlangen Massendemonstrationen eine Demokratisierung des Landes in Aussicht gestellt hat, ist in Südkoreas Industriestädten der Teufel los. Während die Studenten, bislang Speerspitze des offenen Widerstandes gegen das Regime, die wohlverdienten Semesterferien geniessen, machen die ArbeiterInnen mobil. Binnen weniger Wochen hat sich eine Streikbewegung von bislang nie dagewesenem Ausmaß entwickelt. Zuerst wurden die Großkonzerne in der Werft– und Autoindustrie lahmgelegt, dann die über 20 Kohlebergwerke und Ende vergangener Woche legten dann auch die Beschäftigten in Hunderten von kleinen und mittleren Unternehmen der Elektronikindustrie die Arbeit nieder. Vielerorts schlossen sich Bus– und Taxifahrer spontan den Ausständen an. Straßen und Eisenbahnschienen wurden blockiert und manche Belegschaft stellte - bislang undenkbar– gar das Management vorübergehend unter „Hausarrest“. Die jetzigen Proteste sind die späte Rache für die Überausbeutung der letzten 20 Jahre, in denen Südkorea vom armen Agrarland zu einem der führenden NICs (= newly industrialized countries), der neuen Industrienationen mit breit gefächerter Produktionspalette aufstieg. Nirgendwo auf der Welt sind die Arbeitszeiten länger als in den Fabriken der tristen Industriestädte Ulsan, Pusan, Masan, Incheon oder Iri. Mit durchschnittlich 55 Wochenstunden schupften Südkoreas fünf Millionen ArbeiterInnen sogar noch 50 Stunden mehr im Monat als die berühmten Japaner. So niedrig die Löhne sind (13 Die ersten Arbeiterorganisationen entstanden in den siebziger Jahren nach dem politisch motivierten Selbstmord des Textilarbeiters Chun Tae–il 1970. Diese unter dem Einfluß der evangelischen Industriemission und katholischer Arbeiterkirchen stehende Bewegung wurde jedoch nach dem Putsch des heutigen Präsidenten Chun Doo Hwan 1980/81 völlig zerschlagen. Seit 1983 waren nur noch staatlich kontrollierte Gewerkschaften zugelassen, die heute rund eine Million Mitglieder haben. Rebellische Arbeiter wurden systematisch auf „schwarzen Listen“ erfasst oder gar zur „geistigen Reinigung“ in Militärcamps geschickt. Erst in den letzten drei Jahren entstanden wieder neue unabhängige Organisationen, die jedoch in den Fabriken kaum offen auftreten konnten. Erfuhr die Geschäftsleitung von einem geplanten Treffen, so wurden die Arbeiter nicht selten in den Umkleideräumen eingesperrt und - Polizeiwannen am Eingang - zu Sonderschichten verdonnert. Was Wunder, daß die streikenden ArbeiterInnen jetzt samt und sonders das Gleiche fordern: höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und freie Gewerkschaften.(vgl. dazu auch Tagesthema 29.7.) Nina Boschmann