Faules Obst, tote Mäuse, Drogen und die Mafia

■ Interview mit Italiens erster grüner Stadtdezernentin, Letizia Battaglia in Palermo: „Die Bedeutung alternativer Politik wird begriffen“ / Die Jugend von den Drogen und der Mafia wegbekommen / Christdemokraten vor Ort progressiv

Palermo (taz) - Letizia Battaglia (52), Pressefotografin und Mitbegründerin des Frauenverlages „La Luna“, beschreibt sich selbst als „typisch brave Sizilianerin - verheiratet seit dem 17. Lebensjahr, drei Kinder“. Sie ist vergangene Woche, nach langer innergrüner Diskussion, in die Rathauskoalition aus Christdemokraten, Linksunabhängigen, Sozialdemokraten und den Linkskatholiken der Gruppe „Citta per luomo“ eingetreten und wurde zur Dezernentin für die städtischen Parks und Gärten gewählt. taz: Eine grüne Frau ausgerechnet als Dezernentin in Palermo - was heißt das? Battaglia : Es ist sehr wichtig, daß dies gerade in Palermo zustandekam, wo Frauen traditionell in der Öffentlichkeit kaum zählen, in einer Stadt, die durch die Mafia zerstört ist, deren Jugend an Drogen zugrundegeht und die an ihrem eigenen Müll erstickt. Eine Art Notstandsregierung? Wir hatten mehrere Motive, in die Koalition des Anti–Mafia–Bürgermeisters Leoluca Orlando einzutreten. Zunächst einmal galt es, Orlando sozusagen zu „retten“ - die Alternative wären Neuwahlen gewesen. Die Sozialisten wollten Orlando auf keinen Fall mehr als Bürgermeister, sind aus der Koalition ausgetreten... Gestärkt durch ihre Erfolge bei den Nationalwahlen, wo sie freilich viel Unterstützung durch mafiose Gruppen angenommen haben... Ein sehr trübes Kapitel, das viel Polemik ergeben hat, und das unverzüglich abgeschlossen werden muß. Da sind wir schon mitten im Problem: Traditionell sehen wir die Sozialisten ja als Kraft des Fortschritts an, progressiver jedenfalls als die Christdemokraten. Hier in Palermo haben sie aber wenig dafür getan, den Verfall der Stadt zu bremsen. Im Gegensatz dazu ist die in Palermo dominierende Strömung Leoluca Orlandos innerhalb der DC eine echt progressive Kraft geworden, die sich den konkreten Problemen der Stadt entschlossen stellt. Geht es nun weiter in der von Orlando begonnenen Richtung: Mafia raus, der Rest wird sich geben? Bedingt. Wir haben mit unserem Eintritt noch wesentlich mehr erreicht: Die Tatsache, daß eine Frau erste grüne Stadtdezernentin Italiens wird, und, in meiner Person, noch dazu eine, die seit jeher außerhalb der herkömmlichen Politik steht, die den Aspekt der „Bewegung“, des „movimento“, ganz in den Vordergrund stellt - diese Tatsache zeigt an, daß auch von den anderen Kräften, insbesondere von den Linkskatholiken und den anti–mafiosen Teilen der DC, die Bedeutung einer alternativen Politik begriffen wird und daß „saubere Umwelt“ nicht nur physisch gemeint ist, sondern auch Reinigung der Politik von verschmutzenden Elementen bedeuten muß. Wie zeigt sich das konkret? Das zeigt sich konkret z.B. darin, daß die DC bereit war, faktisch sämtliche Dezernenten der Stadtregierung auszuwechseln - ein in Italiens Großstädten einmaliger Vorgang. Der Schul–Dezernent läuft seither persönlich in den Armenquartieren herum, um die Leute davon zu überzeugen, daß sie ihre Kinder wirklich in die Schule schicken sollen; der Analphabetismus ist hier unglaublich hoch, was wiederum die Beschäftigungschancen zerstört, so daß die Jugendarbeitslosigkeit mit allen Folgen wie Drogenkonsum und Kriminalität etc. hier doppelt so hoch ist wie sonst im Land. Was habt ihr als Grüne nun wirklich zu sagen? Das erste Problem, das wir angehen müssen, mag für Nichtparlermitaner fast absurd klingen - die Stadtreinigung. Palermo ist eine Stadt, die im Müll zu versinken droht. Das ist Goethe schon vor 200 Jahren aufgefallen... Er ist noch schlimmer geworden. Hier landet alles auf der Straße, faules Obst und Plastiktüten, kaputte Autos, tote Mäuse, Bauschutt - und die Stadtreinigung, von den vergangenen Administrationen meist als Geldschleuder für ihre Klientel angesehen, funktioniert überhaupt nicht. Tausenderlei Krankheiten rühren daher, miese Wohnbedingungen in Gestank und Schmutz, oft ist der Verkehr durch Müllberge auf den Straßen blockiert. Ausreichende Verbrennungs– oder Recycling– Anlagen gibt es nicht, obwohl hier auch ein Reservoir für Arbeitsplätze wäre. Du stehst dem Assessorat für die öffentlichen Gärten und Parks vor. Was kannst du da machen? Hier gilt es vor allem, dem Appetit vieler Spekulanten einen Riegel vorzuschieben, denen Grünanlagen allenfalls schöne Baugründe sind. Daß der Monte Pellegrino nicht weiter bebaut werden darf, haben wir bereits durchgesetzt, die Zubetonierung der Küste gestoppt. Darüber hinaus haben wir mit den anderen Ressorts eine enge Zusammenarbeit begonnen, die u.a. ein umfangreiches Beschäftigungsprogramm für Jugendliche garantieren wird. Das nämlich ist die erste Voraussetzung, sie aus ihrer verzweifelten Lage herauszuholen, sie von der Drogengefahr und von der Mafia immer weiter wegzubekommen. Inteview: Werner Raith