: Großer Konzern gab klein bei
■ Bürgerinitiativen und Grüne verhinderten Pestizidversuche der Hoechst AG auf dem Oranienhof in Wiesbaden–Igstadt / Firmensprecher kündigte möglichen Rückzug ins Ausland an
Aus Frankfurt Heide Platen
Ein Brief, den sie zum Wochenende verschickten, klingt, als könnten sie es noch gar nicht glauben: Bürgerinitiativen und Grüne haben zusammen einen Großkonzern zum Nachgeben gebracht. Die Hoechst AG gab einen Bau ernhof in Wiesbaden–Igstadt auf, den sie für Versuche mit Pflanzenschutzmitteln benutzen wollte. Der Protest begann im Herbst 1986, als Nachbarn erfuhren, daß „die Hoechst“ vom Besitzer des Oranienhofes einen vorläufigen Pachtvertrag erhalten hatte. Der Aussiedlerhof sollte in Parzellen geteilt bebaut werden. Auf den je zehn Quadratmeter kleinen Versuchsfeldern wollte die Chemie– Firma Rückstände und Verträglichkeit von Pflanzenschutzmitteln, unter anderem auch das umstrittene „Basta“, testen. Die Felder sollten mit hohem Gebüsch eingefaßt und zum angrenzenden Wäschbach hin durch einen 50 Meter breiten Grünstreifen gesichert werden. Der Versuchsleiter der Firma, Dr. Fischer, stellte sich den Bürgern Anfang Juni dieses Jahres. Er erklärte, daß die Pestizidmenge bei seinen Experimenten um 70 Prozent unter dem Chemieaufwand lägen, den die normale Landwirtschaft benötige. Die Bürger ließen sich nicht beruhigen. Sie hatten sich zusammengetan und u.a. die Grünen alarmiert. Das Gift wurde Thema im Ortsbeirat. Ein nichtöffentliches Gespräch, zu dem die Hoechst AG den städtischen Umweltausschuß geladen hatte, war durch die Grünen öffentlich geworden. Flugblätter, Transparente, Mahnwachen häuften sich. Auch das Stadtparlament sprach sich nach längerem Streit gegen die Pestizidversuche aus. Ende Juli bekam die Hoechst noch einmal Schützenhilfe. Die neue hessische Landwirtschaftsministerin Reichhardt verkündete per Erlaß, daß die Versuche des Konzerns nicht genehmigungspflichtig seien. Doch die Firma verhielt sich vorsichtig. Sie wolle erst abwarten, wie der Umweltausschuß der Stadt entscheide. Der Ausschuß tagte vorige Woche. Grüne und SPD beschlossen einmütig, rechtliche Schritte gegen den Erlaß der Ministerin und gegen die Hoechst AG einzuleiten. Zwei Tage später lud die Hoechst zur Pressekonferenz und teilte mit, sie gebe den Oranienhof auf. Sie könne sich die zeitliche Verzögerung, die durch eine Klage entstehe, einfach nicht leisten. Hoechst–Sprecher Waitz erklärte vage, man sehe sich im Ausland um. Auch ein Hofgut bei Aschaffenburg sei im Gespräch.
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