Die Hoffnungen sind begrenzt

■ Stimmungen in Berlin–Ost zwischen Mauerprotest und Honecker–Reise, aufgeschnappt bei einem privaten Ost–West–Dialog / Keine Aufregung nach Protesten

Berlin(taz) - Eine gesellige Runde feiert Abschied. Ein Freund aus Berlin–West hat seine Freundinnen und Freunde aus Berlin–Ost in eine sonst von Bauarbeitern frequentierte Stammkneipe in der Nähe des properen Nicolai–Viertels geladen, weil er zur großen Weltreise aufbrechen will. Literaten, kritische Geister, Autoren aus dem Westteil sind gekommen und gestalten ihren eigenen Ost– West–Dialog. Auch Stefan Heym ist da. Man ist locker und entspannt. Gerade ein Tag ist seit dem Protest der 300 vor der Mauer vergangen, und doch redet man darüber hier weder hektisch noch aufgekratzt. Das Wissen stützt sich auf die Westnachrichten, worauf auch sonst. „Wenn es stimmt, was berichtet wird“, wägt Stefan Heym ab, „dann gab es erstmalig einen solchen massenhaften Protest am 13. August.“ Aber ein besonderes Signal mag er nicht darin erkennen. Zu übertriebenen Hoffnungen neigt hier niemand. Man weiß zuwenig Konkretes über den Protest und andererseits zuviel über die Trägheit der Verhältnisse. Und weil es für Protest und Aktion die unterschiedlichsten Motive gibt, werden die jüngsten Ereignisse durchaus einer kritischen Einschätzung unterzogen. M. ist Theologe und wertet den Mauerprotest als ein ernstzunehmendes „Sprachereignis, aber nicht mehr“. Durch die Wiederholung (siehe Pfingsten) bekäme diese Art der Aktion bereits etwas Berechenbares und somit Entschärfendes wie das Verhalten von „Fußball–Fans in den Stadien“. Wer M.s Plakette sieht, kann sich denken, auf welchem Felde er das Regime subversiv treffen möchte: „1. Mai 1954“ steht oben auf dem rotgrauen Emblem, das einen Proleten zeigt, der den Grenzpfahl zerbricht, und die Parole: „Für Einheit und Frieden.“ Das war 1954 offizielle Politik. Was die Einheit angeht, ist heute daran Gott sei Dank nicht mehr zu denken. Die Normalisierung der Beziehungen stehe nach wie vor an, meinen andere, weitere Reiseerleichterungen als verbrieftes Recht und nicht nur eine in letzter Zeit zu beobachtende lockerere Handhabung der Vorschriften. Das erwartet man vor allem von der „Rentner–Reise“ Honeckers nach hüben, auch „wenn er reist, weil er nix zu sagen hat“, wie es einer ausdrückt. Nüchtern und pragmatisch bewertet man also die Reise, so, wie es mahnend auf manchen U–Bahnhöfen der „Hauptstadt“ heißt: „Achtet vor der Reisezeit auf den Ausweis und seine Gültigkeit.“ Hugo Hager Die taz–Berlinredaktion sucht ab sofort eine/n Chef/in vom Dienst Wir suchen eine interventionsfreudige Person mit stadtpolitischen Kenntnissen. Der Job fordert Entscheidungsfreude, Geschick im Bearbeiten von Texten, Mut zur Kontroverse und Fähigkeiten zum gestalterischen Eingreifen. Zeitungs–Erfahrung wäre gut, ist aber keine zwingende Voraussetzung. Geboten wird dagegen eine Vier–Tage–Woche und der taz–Einheitslohn. Bewerbung bitte schriftlich an: die taz–Lokalredaktion, Wattstraße 11–12 1000 Berlin 65