Händeschütteln am Grenzfluß Ussuri

■ Die Grenzgespräche zwischen China und der Sowjetunion haben Fortschritte gemacht / Jetzt kann über die Besitzansprüche von 700 Flußinseln verhandelt werden / Auch die Wirtschaftskooperation kommt voran, Haupthindernis für eine Entspannung ist noch die vietnamesische Besetzung Kambodschas

Von Ingrid Oswald

Am Freitag voriger Woche begann die zweite Runde der sowjetisch–chinesischen Grenzgespräche, die im Januar 87 nach neunjähriger Pause wieder aufgenommen worden waren. Der Konflikt ist alt, es geht um Verträge zwischen dem zaristischen Rußland und China, die russische Besitzansprüche über ehemals chinesisches Gebiet regeln. Während der heißen Phase der sowjetisch–chinesischen Auseinandersetzungen 1963 bezeichnete China einige dieser Verträge als „ungleich“ und forderte, die Sowjetunion solle diese Sichtweise anerkennen - ohne daß damit chinesische Rückforderungen verbunden waren. Mittlerweile haben die Chinesen auf ein Schuldeingeständnis der Sowjets verzichtet, nachdem die Sowjets vor einem halben Jahr als neue Grenze die Flußmitte der Grenzflüsse Ussuri und Amur akzeptiert hatten. Vorher war das chinesische Ufer Grenze gewesen. Damit kann jetzt über die rund 700 Flußinseln, von denen etwa 500 bisher in sowjetischem Besitz sind, verhandelt werden. Zwar werden bei diesen Gesprächen keine schnellen Lösungen erwartet, zumal die Flußgrenzen nur eines von vielen Problemen an der 7.500 km langen gemeinsamen Grenze sind. Aber eine Art atmosphärischer Entspannung hat sich nach der sogenannten Wladiwostoker Rede des sowjetischen Parteichefs Gorbatschow im Juli86 angekündigt. Die Rede war an Chinas Adresse gerichtet und dort auch entgegenkommend aufgenommen worden. Im gleichen Zusammenhang stehen die sowjetischen Vorschläge, auch im asiatischen Teil ihres Territoriums eine Null–Lösung bei den Mittelstreckenraketen zu verwirklichen. Richtungweisend sind diese Vorstöße für den Verlauf einer anderen Serie von Verhandlungen, die „Normalisierungsgespräche“ in den halbjährlich stattfindenden Konsultationsrunden, die im Mai87 in ihre 10. Runde gingen. In den Augen der Chinesen stehen „drei Hindernisse“ einer Normalisierung entgegen: - die sowjetischen Truppenbestände an der gemeinsamen Grenze - die Besetzung Afghanistans und - die sowjetische Unterstützung der vietnamesischen Okkupation Kambodschas. Die ersten beiden Punkte sind den Chinesen weniger wichtig, außerdem möchte die Sowjetunion hier auch nachgeben. Das Entspannungshindernis ist der letzte Punkt - und hier sind so schnell keine (auch keine verbalen) Konzessionen zu erwarten. Neben diesen Bemühungen um Entspannung wird an einer Zusammenarbeit in Handel, Technik, Wissenschaft, Kultur und Touristik gebastelt. Dabei erneuerte Gorbatschow ein Vorhaben aus den 50er Jahren: gemeinsame Wasserkraftwerke am Amur wie überhaupt eine Nutzung und infrastrukturelle Erschließung des Grenzgebietes. Ferner soll die Eisenbahnlinie Peking–Moskau fertiggestellt, und chinesische Kosmonauten sollen in der Sowjetunion ausgebildet werden. Handelsgespräche laufen schon länger, ebenso gemeinsame Transportunternehmen an allen Grenzflüssen. Und inzwischen kommt es offenbar auch zu „Arbeitstreffen“ von sowjetischen und chinesischen Grenzsoldaten: Im Juli waren Chinesen am Ussuri auf die Gegenseite eingeladen worden, mit Besichtigung des Grenzdorfes sowie des dort ansässigen Staatsbetriebes. „Drushba“, wie man auf russisch sagt, „Freundschaft“? Zumindest ist schon 1985 ein Übergang für den kleinen Grenzverkehr geöffnet worden; vorgesehen ist zudem die Kontaktaufnahme zwischen den Gewerkschaften, ja sogar zwischen den Parteien, wenn auch noch nicht an formelle Parteibeziehungen gedacht werden kann. Allerdings, so wie in den 50er Jahren wird man sich nicht mehr in den Armen liegen - China will auch weiter eigene Wege gehen. Die Verständigung mit China bezeichnete Gorbatschow in Wladiwostok als seinen „größten Traum“. Wie könnte er weiterträumen? Eine engere Zusammenarbeit könnte riesige Reserven mobilisieren: zwei geeinte sozialistische Mächte in Asien als „geballte rote Kraft“. Soweit wird es nicht kommen. Aber ein entspanntes Verhältnis braucht die Sowjetunion, allein schon um sich der eigenen Wirtschaftsreform zu widmen.