Weder „guter Nazi“ noch „Friedensfreund“

■ Am Montag nachmittag starb der „Stellvertreter des Führers“, Rudolf Heß, in einem britischen Militärhospital / Heß war der letzte Häftling im Spandauer Kriegsverbrechergefängnis / Alliierte wollen die alte Preußen–Festung schleifen / Skin–Heads feiern den „Märtyrer“

Von Benedict M. Mülder

Berlin (taz) - Schon vor Monaten hatten die Alliierten, die das Spandauer Kriegsverbrechergefängnis gemeinsam verwalteten und abwechselnd bewachten, sich auf einen Text geeinigt. Als es schließlich soweit war, kam es wegen der Todesnachricht dennoch zum Tauziehen zwischen West und Ost. „Rudolf Heß, einer der führenden nationalsozialistischen Kriegsverbrecher, ist am 17. August im Spandauer Kriegsverbrechergefängnis gestorben“. Die Sowjetunion hatte auf dem Eindruck bestanden, daß der 93jährige Heß unter Aufsicht aller Siegermächte des 2. Weltkriegs gestorben sei und nicht, wie tatsächlich, in einem Militärhospital der Briten. Mit dem Tod des „Häftlings Nr. 7“ geht eine der letzten Gemeinsamkeiten alliierter Präsenz in Berlin verloren. Ihnen bleibt nurmehr die hoheitliche Kontrolle des Luftraums. „Ich bin glücklich zu wissen, daß ich meine Pflicht getan habe, als treuer Gefolgsmann des Füh rers. Ich bereue nichts und würde wieder so handeln“, sagte der begeisterte Flieger und einstige „Stellvertreter des Führers der NSDAP“ 1946 im Kriegsverbrecherprozeß in Nürnberg. Der Nationalsozialist der ersten Stunde war seit 1920 ein glühender Verehrer des „Tribuns“, wie er Adolf Hitler gerne nannte, und ihm absolut hörig. An dem Tag, an dem Hitler in der Landsberger Festungshaft 1924 „erbarmungslos und fürchterlich Rache“ schwor, schrieb Heß: „Ich bin ihm ergeben mehr denn je! Ich liebe ihn!“ Gleichwohl versuchen Historiker in ihm immer noch den „guten Nazi“ zu entdecken. Zumeist vergessen sie, daß Hitler in Heß den ersten begeisterten Leser wie Redigierer des Machwerks „Mein Kampf“ fand. Als dieser 1933 mit dem Einzug ins Reichskanzleramt seine Krönung fand, wurde der getreue Paladin nicht nur Stellvertreter, sondern auch Reichsminister ohne Geschäftsbereich. Heß entwickelte als „Bühnenbildner des Massenwahns“ den Führerkult zur Perfektion und gilt als Mit erfinder der Nürnberger Rassegesetze. Rätsel gab Heß den Historikern mit dem berühmt–berüchtigten „Friedensflug nach England“ 1941 auf. Hitler und die nationalsozialistische Presse ließen ihn kurzerhand für verrückt erklären. Dabei hatte Heß das „germanische England“ nur zum Stillhalten bewegen wollen, um dem Führer den Rücken gen Osten zu stärken. Daß ihn Hitler–Gegner unterstützten, gar Hitler selbst davon gewußt haben soll, gibt bis heute zu vielfältigen Spekulationen Anlaß, macht aber noch lange keinen Friedensfürsten aus. Seit der gescheiterten Mission jedenfalls verschwand Heß hinter Gittern. Statt ihn anzuhören, spielten die Briten mit ihm Versteck. Zusammen mit der Sowjetunion sorgten sie dann in Nürnberg entgegen den Vorstellungen der Amerikaner dafür, daß er als Hauptkriegsverbrecher angeklagt wurde. Das Urteil wegen Planung eines Angriffskrieges und Verschwörung gegen den Weltfrieden lautete auf lebenslänglich, eine Strafe, die er trotz sechsmaligen Selbstmordversuches bis zum Ende absaß. Heß hat die Zeit, soweit bekannt, nicht zum Nachdenken genutzt. Mal spielte er den Verrückten, nie aber den Reuigen und Nachdenklichen. In der kleinsten Abweichung von der Haftroutine witterte der Pedant einen heimtückischen Angriff des „Weltjudentums“. Die vorzeitige Freilassung des „Märtyrers“, der zur merkwürdigen Symbolfigur eines Bündnisses (“Laßt Rudolf Heß frei!“) von Bürgerlichen und Rechtsradikalen wurde, scheiterte vor allem an der Haltung der Sowjetunion, für die er bis heute Symbolfigur der Schrecken des Nationalsozialismus blieb. Neben dem Bundeskanzler hatte sich zuletzt Bundespräsident von Weizsäcker aus humanitären Gründen für seine Freilassung eingesetzt. Es dauerte auch nicht lange, bis am Montag abend einige Dutzend Skin–Heads sich ihrem Bedürfnis nach Heldenverehrung hingaben. Kerzenlicht flackerte, rote und weiße Nelken lagen verstreut und die Kriegsflagge des Deutschen Reiches wurde gehißt. Eine gespenstische Reaktion auf den Tod eines zum Gespenst gewordenen deutschen Täters. Die Gefahr einer Kultstätte wollen die Alliierten durch sofortigen Abriß des ehemaligen preußischen Militärgefängnisses bannen. Rudolf Heß selber darf hingegen Spuren hinterlassen, in der Familiengruft im oberfränkischen Wunsiedel.