Hungener löchern Umweltminister Töpfer

■ Bürgerversammlung in Hungen / Geballter Protest gegen geplante Dekontaminierung von verstrahltem Molkepulver / Bürger beobachteten „Störfälle“ auf dem Molkereigelände / Halbe Tonne Pulver in den Gulli gespült?

Aus Hungen Antje Friedrich

Großes Polizei– und Sicherheitsaufgebot in Hungen: Nachdem bereits während der Demonstration vor 14 Tagen gewitzelt wurde, wo er denn nun bliebe, „er, der sich normalerweise mit jedem welken Blatt oder toten Fisch fotografieren“ ließe, erschien Klaus Töpfer am Dienstag überraschend im hessischen Hungen. Seit der Bekanntgabe des Dekontaminierungsprojektes für die 5.000 Tonnen verstrahlten Molkepulvers vor genau einem Monat ist viel geschehen. Ablehnende Stellungnahmen von Juristen, Ärzten, Pfarrern, Landfrauen, Bauern häufen sich, ständig gehen neue Resolutionen ein. Die Firma Rewe will eine geplante Erweiterungsinvestition für ihr Zentrallager zurückstellen. Der Gewerbeverein fürchtet um die Attraktivität des Ortes für Industrieansiedlungen: „Hungen als Gewerbestandort ist bundesweit ins Gerede gekommen“, mahnte Gewerbevereins–Vorsitzender Schäfer. Zuletzt sprachen sich der Kreistag und das Stadtparlament gegen das Projekt aus. „Bitte nehmen Sie zur Kenntnis: Es liegt hier Ablehnung auf breitester Front vor!“ Eindringlich beschwört Stadtverordnetenvorsteher Engel den Minister, auf die Entseuchung des Molkepulvers in dem Trockenwerk des Milchversorgungsunternehmens Moha zu verzichten. Der Bundesumweltminister war gekommen, um „zuzuhören“. Doch dazu kam es nicht. Die Bürgerversammlung wurde zu einer Fragestunde. Dabei offenbarte sich in erster Linie Mißtrauen gegenüber dem, von seiten der Bundesregierung immer wieder deklarierten, einmaligen Charakter eines solchen Auftrages für die Molkerei Moha. Daß dieses Mißtrauen wahrlich nicht unberechtigt ist, zeigte sich denn auch wenig später. So antwortete Töpfer auf die Frage, was nach Ablauf der zweieinhalb Jahre, die der Auftrag in Anspruch nehmen wird, geschehe, zunächst: „Danach ist die Sache abgeschlossen.“ Wenig später konstatierte er: „Der Prozeß steht dann auch in der Praxis zur Verfügung.“ Mit dieser Äußerung zog er sich den Unmut der rund 500 ZuhörerInnen zu, die sich damit in ihrer Befürchtung bestätigt sahen, „nur Versuchskaninchen“ zu spielen. Bittersüßes Gelächter erntete ein Hungener, der von einer kürzlich gemachten Beobachtung auf dem Mohagelände zu berichten wußte. Beim Transport von Molkepulver sei „ein Schlauch geplatzt und 300 bis 500 kg Milchpulver wurden auf die Straße und den angrenzenden Parkplatz verstreut. Ein eigens herbeigerufener Arbeiter mit einem Wasserschlauch hat dann das Ganze in den Gulli gespritzt.“ Der Direktor der Moha Tödt hüllte sich zu dieser Bemerkung in Schweigen und provozierte neben einem Pfeifkonzert den Dank eines Zuhörers „für die verantwortliche Informationspolitik seitens der Firma“, deren Leitung nicht zu sagen vermochte, ob sich derartige Vorfälle künftig ausschließen lassen. „Spitze“nwerte erreichten die Pfiffe dann allerdings auf die Äußerung Töpfers, er sei „nicht der Meinung, daß sich das Krebsrisiko erhöht, das Verfahren wurde immer wieder überprüft und ist nach allem verfügbaren Sachverstand ein nicht zu kritisierendes“. Der „verfügbare Sachverstand“ wurde von einem älteren Hungener in Zweifel gezogen. Leise und sichtlich erregt berichtete er von dem Tod seiner Frau, die an Krebs gestorben ist. Er habe zahllose Gespräche mit seinen Söhnen, die beide Ärzte seien, mit Strahlen– und Krebsexperten geführt: „Die haben alle nur bestätigt, daß schon geringste Strahlenmengen Krebs erzeugen können.“ „Können, ja können...“, raunt ein Sicherheitsbeamter des Ministers einem Kollegen ins Ohr, während der alte Herr an den Minister appelliert, auch seine Erfahrungen bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen. Töpfer (“Ich bin auch Familienvater“) versicherte dies zwar, mochte aber dem Vorschlag „doch nach Hungen (zu) ziehen“ offensichtlich keine Sympathien entgegenbringen. Zudem habe nicht er zu entscheiden, „sondern Behörden und Genehmigungsverfahren“. Bleibt die Frage, welche Genehmigungsverfahren das sein werden, ist doch sein Staatssekretär Strotmann nach wie vor der Ansicht, „daß nach meiner rechtlichen Prüfung keine Genehmigung nach dem Atom– und Strahlenschutzrecht für die Dekontaminierung erforderlich ist“.