: Ein Fememord aus „niedrigen Beweggründen“?
■ Im Landgericht Hannover hat gestern der Prozeß gegen vier zur neofaschistischen FAP zählende Skinheads der „Kameradschaft EK 1“ begonnen, die ihren „Kameraden“ in einer sadistischen Prozedur zu Tode mißhandelten / Vater des Ermordeten will durch Nebenklage auf politischen Hintergrund des Falls verweisen
Aus Hannover Jürgen Voges
Ja, die Staatsanwaltschaft Lüneburg habe geprüft, ob gegen die „Gemeinschaft Eisernes Kreuz 1 (EK 1)“ nach Paragraph 129 oder gar 129a (Bildung einer kriminellen und terroristischen Vereinigung) zu ermitteln sei, bestätigt der Hannoversche Oberstaatsanwalt Nicolaus Borchers. Doch die Lüneburger Kollegen hätten die dann fällige Übernahme des Verfahrens natürlich abgelehnt. Für Oberstaatsanwalt Borchers ist die neofaschistische Kameradschaft EK 1, zu der sich im Herbst vergangenen Jahres ein gutes Dutzend Mitglieder, Sympathisanten aber auch Konkurrenten der FAP zusammenschlossen, „doch eine sehr flüchtige Gruppierung“, in der es keine feste Hierarchie gegeben habe, aus der heraus die über 20 Straftaten stets unter wechselnder Beteiligung begangen worden seien. Da könne man nicht von organisiertem Verbrechen einer kriminellen Vereinigung sprechen. Vier Strafverfahren gegen die Skinheads aus der „Kameradschaft EK 1“ werden zur Zeit in Hannover vorbereitet. Gestern begann der erste Prozeß, in dem das brutalste der Verbrechen - der Mord an Roger Bornemann - Gegenstand der Verhandlung ist. In der Nacht zum 2. Februar dieses Jahres haben vier heute 18 und 19 Jahre alte Skinheads ihren gleichaltrigen „Kameraden“ Roger Bornemann in einer stundenlangen sadistischen Prozedur mit Fäusten, Stiefeln und Tränengas mißhandelt und den Schwerverletzten am Ende mit einer Zaunlatte erschlagen. Die vier Angeklagten waren geständig, gaben jedoch vor, vorher viel getrunken zu haben. Zorn über eine umgestürzte Schnapsflasche sei schließlich der Auslöser der Mißhandlungen gewesen. Die Anklage geht davon aus, daß die vier „Mitglieder oder Anhänger der neofaschistischen FAP“ den damals 17jährigen Roger Bornemann „aus Rache“ umgebracht haben. Denn vier Tage vor dem Mord hatte Roger Bornemann bei der Polizei ausgesagt, daß man sich im September vergangenen Jahres fast täglich in der Parteizentrale der FAP, der Wohnung des hannoverschen „FAP– Gruppenführers“ Siegfried Müller, getroffen habe und daß dort auch Molotow–Cocktails für Brandanschläge zusammengemixt worden seien. Aber auch die meisten anderen Mitglieder der „Kameradschaft EK 1“ haben damals bei der Polizei ausgepackt, und ihre Aussagen über Einbrüche und Brandanschläge sind zum Teil weitaus belastender. „Treibende Kraft in der Gruppe EK 1“, so sieht dies nicht nur der Sprecher der Staatsanwaltschaft Borchers, „war sicherlich der wesentlich ältere Bernd Futter.“ In der Wohnung des 30jährigen Futter traf sich die Gruppe. Bei seinem Austritt aus der FAP im vergangenen Herbst hatte Futter versucht, möglichst viele Mitglieder in die noch militantere Konkurrenzorganisation mit hinüberzuziehen. „Wir wollten Wehrsport machen“, sagen heute Mitglieder über die Ziele der EK 1. Als Futter in Hannover in die FAP eintrat, hatte er schon eine umfangreiche kriminelle und rechtsradikale Karriere hinter sich. Bereits im Alter von 15 Jahren wurde er nach einem Totschlagsdelikt für fünf Jahre in die Psychiatrie eingewiesen. Nach einigen Eigentumsdelikten folgte dann 1982 die Verurteilung wegen Diebstahls zahlreicher Waffen und des Erwerbs einer Kriegswaffe. Strafmaß: fünf Jahre und sechs Monate. Aus der Kriegswaffe, einer Panzergranate, hatte er damals zusammen mit zwei Mitangeklagten eine Bombe bauen wollen, die „in Kanacken–Kneipen“ zur Explosion gebracht werden sollte. Waffendiebstähle gehörten auch zur Logistik in der Gruppe EK 1. Im September wird sich der 30jährige arbeitslose Futter vor dem Landgericht Hannover zusammen mit zwei anderen Mitgliedern seiner Gruppe unter an derem wegen eines Einbruchs in das hannoversche Waffengeschäft Frankonia verantworten müssen, bei dem vier Gewehre entwendet wurden. In diesem zweiten Verfahren werden auch vier Brandanschläge auf Wohnun gen von Ausländern und weitere 14 Einbrüche verhandelt, die nach Ansicht der Staatsanwaltschaft auf das Konto der Gruppe um Futter gehen. An dem Einbruch in das Waffengeschäft war nach den umfangreichen Geständnissen der Angeklagten auch Roger Bornemann beteiligt. Zur Zeit des Mordes saß Futter längst in Untersuchungshaft, hatte aber über das Telefon und über Mitgefangene Kontakt zu seinem nicht verhafteten Kameraden. Er wußte auch, daß Roger Bornemann ausgesagt hatte. In seiner eigenen Aussage zum Mordfall hat der Chef der EK 1 seinen Konkurrenten von der FAP belastet. Er sprach von einem Videoband und einem roten Buch, das sich im Besitz von Roger Bornemann befunden habe. Das Videoband solle eine homosexuelle Vergewaltigungsszene zeigen, bei der der hannoversche FAP– Chef Siegfried Müller anwesend war. Das Buch soll für die FAP höchst brisante Straftaten protokollieren. Weder das Buch noch die Videokassette, die Futter beide bei einem Einbruch in die örtliche FAP–Zentrale erbeutet haben will, sind jemals aufgetaucht. Der Einbruch hat jedoch tatsächlich stattgefunden. Hauptaufgabe der Jugendkammer des Landgerichts im Prozeß, in dem wegen des Alters der Angeklagten zum Teil nichtöffentlich verhandelt wird, wird sein, aus den gegenseitigen Anschuldigungen das wahre Motiv für den Mord herauszufiltern. Der Vater von Roger Bornemann tritt in diesem Verfahren als Nebenkläger auf. Er wird durch H. Rischmüller und den SPD–Oppositionsführer G. Schröder anwaltlich vertreten. Vater G. Bornemann, ein linker Sozialdemokrat und Gewerkschafter, hat jahrelang darum gekämpft, seinen Sohn aus der Szene herauszuholen. Durch die Nebenklage will er erreichen, daß das Verfahren nicht nur oberflächlich das Tatgeschehen, sondern auch die politischen Hintergründe behandelt. Oberstaatsanwalt N. Borchers, zuständig für politische Delikte, hat sich im Vorfeld des Prozesses jedoch nicht darum bemüht, die Verfahren um die Gruppe EK 1 in seine Abteilung zu ziehen. Man könne bei dieser Gruppierung keine ernsthafte Zielsetzung finden, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verändern, sagt er. „Aber vielleicht wäre das Ganze doch in meiner Abteilung gelandet, wenn wir früher von den Brandanschlägen gegen Ausländer gewußt hätten.“
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