I N T E R V I E W „Lieber ausfüllen als Zwangsgeld zahlen“

■ Reinhard Bütikofer ist Mitglied des Heidelberger Forums gegen die Volkszählung und Grünen–Stadtrat

taz: In Heidelberg wird heftig gestritten über neue Vorschläge an die Vobo–Bewegung. Warum, meinst Du, sollen Gegner der Volkszählung jetzt umschwenken und die Bögen ausfüllen? Bütikofer: So wäre unser Konzept, zunächst nur für Heidelberg diskuktiert, falsch dargestellt. Generell und spätestens seit der taz–count über abgegebene Bögen bei 900.000 stagniert, muß man wissen, daß es auf Dauer perspektivlos ist, wenn eine immer kleinere Zahl immer fester an der eingeschlagenen Taktik des harten Boykotts festhält. Letztlich führt das nur in die Isolation. Bei uns verschickten die Behörden rund 8.000 Heranziehungsbescheide. Die Mehrheit der Leute hat danach den Bogen ausgefüllt. Maximal 1.000 Widersprüche sind beim Verwaltungsgericht eingegangen. Wir glauben, daß die Gerichte mit den Widersprüchen fertig sind, bevor die Erhebungsstellen geschlossen werden. Der Zeitwettlauf ist nicht, wie vielleicht mal erhofft, zu gewinnen. Dann stehen die Leute vor der Alternative, Zwangsgelder zu zahlen oder auszufüllen. In dieser Situation können wir nicht mehr propagieren, massenhaft den ohnehin kaum Erfolg versprechenden Klageweg zu beschreiten. Was empfehlt Ihr konkret denjenigen, die sich bisher dem Zensus verweigert haben? Nicht den Widerspruch zurücknehmen, sondern abwarten, bis das Gericht über den Antrag auf aufschiebende Wirkung entschieden hat. Nach Ablehnung des Antrages sollte aber der weitere Rechtsweg nur beschritten werden bei Aussicht auf ein erfolgreiches Musterverfahren. Ist das nicht gegeben, sollte man den Bogen lieber ausfüllen, als auch noch mit riesenhaften Zwangsgeldern die Volkszählung zu finanzieren. Gleichzeitig empfehlen wir den Leuten, sich zu orientieren auf eine inhaltlich angereicherte Arbeit. In der letzten Zeit hat sich ja die Volkszählungsopposition zu einer Rechtsberatungsbewegung entwickelt. Viele Themen sind liegengeblieben. Eine Art „Pro–Datenschutz– Bewegung“ aufzubauen ist Teil unseres Vorschlages. Die eingesparten Zwangsgelder sollen in einen Fonds eingezahlt werden, mit dem wir Rechtshilfe für Einzelkläger, Datenschutzaktivitäten und - wenn viel zusammenkommt - andere Selbstorganisationsprojekte finanzieren können. Die Behörden versuchten, mittels Einschüchterung das Ausfüllen der Bögen zu erzwingen. Dieses Konzept scheint aufgegangen zu sein. Ich kann mich nicht damit abfinden, daß die Politik des zivilen Ungehorsams mit einer Haltung des Opferganges oder Büßertums assoziiert wird. Wenn eine Taktik so angelegt ist, daß finanziell gesehen nur wenige mitmachen können, dann ist die Taktik schlecht und führt zum unkontrollierten Abbröckeln der Bewegung. Zwangsgeld in Höhe von 3.000 DM, wie es hier jemand zahlen soll, können sich die wenigsten leisten. Interview: Petra Bornhöft