: Eifrig boykottiert - Und nun?
■ Vobo auf der Suche nach Perspektiven / Statistiker kämpfen mit Chaos und Boykott
Schon seit Monaten sollte sie abgeschlossen sein, die Volkszählung 87, aber Bürger– und Zählerunwille machen sie derzeit zu einer unendlichen Geschichte. Viele sind bisher noch nicht einmal gezählt worden, und in den Erhebungsstellen stapelt sich der Datenschrott. Doch dieser politische Erfolg hilft den Boykotteuren in den kleineren Orten wenig. Während in den Städten die Vobo–Strategie funktioniert, geben auf dem Land die ersten Initiativen angesichts horrender Zwangsgelder auf.
„Ziemlich mies“ sei die Stimmung gewesen auf dem letzten Treffen der niedersächsischen Volkszählungsboykottinitiati ven, gesteht Ralf Strohbach aus Hannover ein, und daß kleine Initiativen auf dem „platten Land“ sich „ganz schön allein gelassen fühlen“, berichtet Frank aus dem schleswig–holsteinischen Vobo– Büro. Beide bringen auf den Punkt, was innerhalb der weit verzweigten Boykott–Bewegung immer deutlicher wird: das berühmte Stadt–Land–Gefälle schlägt auf die Volkszählungsbewegung durch und macht eine gemeinsame Diskussion über die Perspektiven schwierig. Denn während in den Großstädten Tausende nicht einmal einen Fragebogen in der Hand hatten, sind die Erhebungsstellen in den kleineren Orten dabei, horrende Zwangsgelder anzudrohen. Da mögen in Berlin, Hamburg, Dortmund oder Kiel die Volkszählungsgegner schon verwundert bei der taz anfragen, ob es denn normal sei, daß sie immer noch keine Mahnung und schon gar nicht eine Zwangsgeldandrohung bekommen haben. Nur wenige Kilometer weiter steht oft schon der Vollstreckungsbeamte vor der Tür, um Zwangsgelder abzukassieren, die sich teilweise auf über 1.000 DM angelaufen haben. Demgegenüber haben Großstädte wie Essen, Bremen, Hamburg oder Bochum signalisiert, daß sie wahrscheinlich überhaupt nicht zu Zwangsmitteln greifen werden. Die ursprüngliche Strategie der Vobo–Bewegung, durch massenweise Anträge und Klagen die Gerichte und die Bürokratie lahmzulegen, scheint derzeit in den Städten auch zu funktionieren. Auf dem Lande jedoch und südlich der Mainlinie arbeiten die Mühlen mangels Masse schneller. Flinke Vollstrecker Auch dort sind die Zwangsgeldandrohungen zunächst unproblematisch, denn sie werden ja hinfällig, sobald man sich gefügig zeigt und den Bogen ausfüllt. In vielen Fällen werden die Strafen auch nur angedroht, aber nicht vollstreckt, wenn die nächst höhere Gerichtsinstanz angerufen wird. Zu einem teuren Spaß wird der Boykott jedoch dort, wo die Erhebungsstellen trotz einer noch ausstehenden Gerichtsentscheidung und entgegen der Empfehlungen des Bundesverfassungsgerichts vom Mai dieses Jahres die Zwangsgelder tatsächlich per Gerichtsvollzieher eintreiben. „Wenn die Vollstrecker dennoch vor der Tür stehen, kann man den Leuten nichts anderes empfehlen, als die Bögen auszufüllen. Aber das hängt jeweils von den örtlichen Bedingungen ab“, meint Frank von den schleswig–holsteinischen Vobos und ist sich darin mit einigen Initiativen in kleineren Orten einig. In diesen kleineren Orten auf dem Lande bröckelt nach der Sommerpause auch die Mitarbeit ab, und während in Freiburg Anfang der Woche allein 400 Leute zu einer - dann von der Stadt verbotenen - Vobo–Veranstaltung kamen, stellen einige kleinere Initiativen ihre Arbeit ein. Dennoch sind zahlreiche Boykotteure gerade in der „Provinz“ häufig zum äußersten entschlossen. „Wir gehen bis zum Bundesverfassungsgericht“, erklärt ein Vobo–Aktivist aus einem kleinen Eifel–Ort, und „wenn die dann Geld eintreiben wollen, gehen wir dafür notfalls auch in den Knast“. Daß Boykotteure in solchen Gemeinden angesichts der Zwangsgelddrohungen aufgeben, nimmt ihnen in der Bewegung niemand übel, denn - so meint Roland Appel, Anti–Volkszählungsautor und Mitarbeiter der Grünen im Bundestag, „jede Gruppe muß für sich entscheiden, wann sie eine Aktionsform abbricht. Wer das als Niederlage bezeichnet, müßte die gesamte Anti–AKW–Bewegung als gescheitert ansehen, weil die es immer noch nicht geschafft hat, alle AKWs stillzulegen.“ Neue Taktik? Stunk gab es eher, als am vergangenen Montag einige Mitglieder des „Forum gegen die Volkszählung“ in der potentiellen Boykotthochburg Heidelberg der Presse eine „neue Taktik“ zur Weiterarbeit vorlegen wollten, „um sich nicht in aussichtslosen Rechtstreiten zu verzetteln“ (siehe Interview). Ausfüllen, hieß die Parole unter der Hand, die auf entschiedenen Widerspruch beim baden– württembergischen Vobo–Landestreffen am vergangenen Wo chenende stieß. Und auch in Heidelberg selbst stieg die empörte Basis auf die Barrikaden. Die geplante Pressekonferenz wurde kurzfristig zugunsten einer internen Grundsatzdebatte abgesagt. In den anderen größeren Städten, so ergibt ein Rundruf, läuft alles nach Plan und sogar oft noch besser, als sich die Initiativen erhofft haben. Die Zahl der bisher nicht zurückgegebenen Bögen übersteigt weit die Menge, die die „Altpapiersammelstellen“ registrieren konnten. Und solange der juristische Weg nicht bis zur letzten Instanz ausgeschöpft ist, sei auch auf dieser Schiene noch alles offen. Acht Verfahren zählt das Bundesverfassungsgericht schon jetzt, in denen Antragsteller schon sämtliche unteren Instanzen ausgeschöpft haben. Wann das höchste deutsche Gericht darüber entscheiden wird, ist noch völlig unklar. Und wenn die Mühlen der Justiz weiterhin nur mühsam gegen den Ansturm der Verfahren ankommen, könnte die Taktik aufgehen, daß die Erhebungsstellen bis zur endgültigen Entscheidung samt und sonders geschlossen und Zwangsmaßnahmen gegen Boykotteure wirkungslos sind. Politisch, darin sind sich eigentlich alle Volkszählungsinitiativen einig, war die Bewegung ein Erfolg. Noch nie hat man so breite Bevölkerungsschichten für das Problem Datenmißbrauch sensibilisieren können, und viele Leute haben zum ersten Mal in ihrem Leben den Mut zum zivilen Ungehorsam gehabt. Dennoch, so konstatieren einige, „die politische Dimension ist im Moment raus“. Einige Initiativen versuchen jetzt, mit der Forderung nach der sofortigen Schließung der Erhebungsstellen und dem Verzicht auf Zwangsmaßnahmen gegen Boykotteure von der juristischen Schiene wegzukommen und kritische Sozialdemokraten und Gemeinderäte für diese Kampagne zu gewinnen. Eine gemeinsame Diskussion darüber, ob und an welchem Punkt die Vobo–Bewegung perspektivisch weiterarbeiten sollte, steht jedoch dringend aus. Im Herbst soll es dazu in Form eines bundesweiten Arbeitsseminars einen ersten Versuch geben. Vera Gaserow
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